Kommentar zum 19. Februar 2011: Echtzeit? Beim MDR ein Fremdwort.

Von 11 , , , ,

Von Peter Stawowy

Dieses Jahr bekommt der MDR einen neuen Chefredakteur. Einen trimedialen, heißt es, der für alle drei Mediengattung zuständig sein soll. Der Mann hat viel zu tun. Denn das, was der MDR zum 19.2.2011 bei der Berichterstattung über die Demonstrationen in Dresden abgeliefert hat, zeigt deutlich, dass man die Veränderungen im Journalismus durch das Internet nicht im Ansatz verstanden hat.

Radio- und Fernsehen waren mal die schnellsten Medien. Heute gibt Online den Takt vor. Aber nicht beim MDR. Am 19.2.2011 sah die Rundfunkanstalt im Vergleich mit den lokalen Zeitungen und privaten Lokalsendern in der Stadt ziemlich alt aus. Wer am 19.2. aktuell über die Situation in Dresden informiert sein wollte, bekam beim MDR nur verstreute Hinweise.

Man führe sich das mal vor Augen: In Dresden brennen Barrikaden. Tausende von Menschen ziehen durch die Straßen, um die Ehre und den Ruf der Landeshauptstadt gegen einen braunen Haufen Idioten zu verteidigen. Die Polizei rudert, um die Situation unter Kontrolle zu halten. Und während sich die sächsische Landeshauptsadt im Ausnahmezustand befindet, fährt der MDR die übliche Programmschiene. Im TV läuft "In aller Freundschaft" - für den Zustand in Dresden eine ziemlich zynische Beschreibung. Auch in den Radioprogrammen dominieren vom ersten Eindruck her Sport und Unterhaltung. Unbestritten: Die Radio-Nachrichten werden permanent aktuell gewesen sein.

Auch bei MDR-Online läuft da etwas: Da wird immer mal aktualisiert. Aktuelle Fotos aus der Stadt werden in einer Bildgalerie hochgeladen - ein aktueller Beitrag von Radio 1 Sachsen eingebunden. Alles in ordentlicher Qualität, keine Frage.

Aber: Vordergründig und im direkten Vergleich haben offenbar sämtliche andere Medien in der Stadt mehr Leute draußen als der "große" MDR. Anderswo wird live getickert – SZ-Online, BILD-Dresden, die überregionale taz informieren deutlich umfangreicher und genauer als die träge Sendeanstalt. Da ist man scheinbar mehr darauf versessen, ordentliche Bilder für den abendlichen "Sachsenspiegel" zu bekommen.

Sicher, das gelingt: Der Tag wird sauber nacherzählt. Die Betonung liegt auf "nach". Mehrere Live-Schalten hat der "Sachsenspiegel" ab 19 Uhr, zum Hauptbahnhof und vor die Frauenkirche. Wichtige Ansprechpartner, der Landespolizeipräsident Sachsen und der amtierende Dresdner Oberbürgermeister, sind live im Programm. Dazu gibt es gebaute Beiträge vom Tag. Die interaktive Karte im TV-Programm sucht in den Medienangeboten der Stadt ihresgleichen.

Souverän gemacht, wenn man sich als Tageszusammenfassungsmedium versteht. Und doch ist die "Live"-Berichterstattung des "Sachsenspiegel" zeitlich hinterher: Während seit 18 Uhr klar ist, dass mehrere hundert Nazis auf dem Weg nach Leipzig unterwegs sind, um dort zu demonstrieren, stehen die MDR-Reporter um kurz nach 19 Uhr am Dresdner Hauptbahnhof. Drei feiernde Typen, mit Burgerbuden-Pappkronen auf dem Kopf, stolpern durchs Bild – damit der MDR-Zuschauer Nazis oder Gegendemonstranten sieht, muss man Bilder vom Tage einspielen. Die neuesten Informationen aus Leipzig erzählt im MDR-Programm der Landespolizeipräsident.

Unbestritten: Alle drei Gattungen des MDR, also Radio, TV und Online, haben über den Tag sicher einen guten Job gemacht. Aber eben jeder für sich. Da sitzen Hunderte von gut bezahlten Journalisten, und jeder fährt seine eigene Schiene. Hinsichtlich des öffentlichen Informationsinteresses bleibt da nur das Fazit: beschämend.

Ein Vorschlag: Solange man beim MDR Online nur als lästiges Nebenprodukt versteht, sollte man das Wort "live" vielleicht einfach nicht mehr in den Mund nehmen. "Echtzeit" heißt das Zauberwort. Der neue Chefredakteur hat viel zu tun.

11 Kommentare
  • Uwe Werner
    Februar 20, 2011

    Wenn der MDR nach wie vor und auch in Zukunft als Sender für die Region verstanden und ernstgenommen werden will, darf sich solch eine haltung und Umsetzung nicht wiederholen.
    Technische Möglichkeiten sind vorhanden, woran lag es also...?

  • twiDDern
    Februar 20, 2011

    vielleicht ist der MDR durch den twitterfall udo noch etwas gestaucht ..

  • owy
    Februar 20, 2011

    @twiDDern Es hätte gar nicht unbedingt ein Twitter-Stream sein müssen.

  • Tja
    Februar 20, 2011

    ... hunderte journalisten online - das ist in temperaturen gesprochen arktisch kalt weit weg von der realität ...

  • E.Müller
    Februar 20, 2011

    Eine Zusammenfassung am Abend ist OK aber wenn ein Sender wie NTV oder N24 stündlich mehr Infos gebracht hatte, auch wenn es wenig war, frag ich mich schon ob das Interesse überhaupt bestand seitens MDR was zu bringen tagsüber.

    Leider wird einiges verschwiegen, wie ich glaube, bei Youtube ist auch ein Video zu sehen, wo blinde Zerstörung zu sehen ist, in Löbtau und die Polizei steht einfach da und macht nicht..einfach nichts und die zerstören Fenster und vieles mehr. Und woanders wo Menschen nur laufen wird mit einem Wasserwerfer die Menge gestreut.

  • owy
    Februar 20, 2011

    @tja Das "hunderte" bezieht sich auf die gesamte Besatzung des MDR in der Königsbrücker Straße.

  • nox
    Februar 20, 2011

    Der mdr hat sich damit einfach blamiert, da muss man halt mal auf die Wiederholung von "In aller Freundschaft" verzichten und Nachrichten außer der Reihe bringen.
    Aber nich der mdr. Das is dann der Bildungsauftrag, "Cafe Trend".
    Wäre sowas in Köln passiert hätte sogar RTL sein Programm unterbrochen und Nachrichten gebracht und die gelten mit BILD zusammen jetzt nich als Speerspitze der Information.
    Aber warscheinlich hätte man das Sendezentrum vom mdr in DD sogar abbrennen können und die hätten ne Wiederholung von "Du und dein Garten" gebracht.
    Fazit: Der mdr langsamer als BILD und nicht so interessiert wie Washington Post, Standard und Al Jazeera, denn die haben berichtet. Aber Hauptsache keine Folge "In aller Freundschaft" verpasst!

  • Ronja Bieber
    Februar 20, 2011

    Wir leben in Plauen und erlebten hier "kriegsähnliche Szenen". Die Berichterstattung des MDR kann ich nur als peinlich, feige, unflexibel, angepasst...bezeichnen. Ich kam vom Dienst- durch brennende Barrikaden-erschöpft und aufgewühlt nach hause und fand dort junge Menschen vor, die nicht mehr nach hause konnten, da alles abgesperrt war - über uns kreiste der Hubschrauber...und der Regionalsender bringt "heile Welt"...ich bin fassungslos und wütend. Dann höre ich, dass die Praxis in Löbtau überfallen wurde (das Video im Polizeibericht ist erschütternd!), dass die Initiatoren von Dresden nazifrei in Gewahrsam genommen wurden...Wo leben wir?!
    Ich erwarte vom MDR eine öffentliche Entschuldigung! Ich bin übrigens 56 Jahre alt....

  • Peter Macheli
    Februar 21, 2011

    Ich unterstelle dem MDR diesbezüglich Prinzip, passt ja ganz gut zur Haltung der regierenden Fraktionsspitzen im Stadtrat. Ist eben eine CDU-dominierte Medienanstalt, irgendwie erwarte ich da gar nichts anderes.
    Ich habe die gar nicht erst eingeschaltet.

  • Juergen
    Februar 22, 2011

    Ich hatte und hätte vom mdr nix anderes erwartet! Der mdr ist Mdiengestaltung von vorgestern! Wenn man es überhaipt in eine Zeitachse setzen kann; peinlich, beschämend und entwürdigend allemal!

  • Thomas
    März 1, 2011

    In aller freundschaft kann ich die kommentare nur begrüßen!!!?

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