#Lügenpresse: Was noch diskutiert werden könnte…

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Heute mal ein Beitrag in Ich-Form: Ich bin einigermaßen überwältigt und auch überrascht über die Ressonanz und das Feedback auf mein Live-Blog zur IfK-Veranstaltung gestern (vgl. Flurfunk vom 28.1.2015: "#Lügenpresse: Live-Blog vom #IfK-Praxisforum"). Dutzende Tweets, Verlinkungen, Whats-App- und SMS-Nachrichten mit Dankesworten... Krass.

Das Thema beschäftigt offenbar sehr viele Menschen. Glückwunsch also an das Institut für Kommunikationswissenschaft für die gelungene und aktuelle Themenwahl und das Setting (Transparenzhinweis: ich bin gern im Förderverein!)!

Allerdings teile ich die Kritik des DJV Sachsen, das am Ende für "für Eingeweihte... nicht viel Neues" diskutiert wurde. Auch wenn es sicherlich gut und wichtig ist und war, etwas über die Positionen der obersten Medien-Verantwortlichen zu den Vorwürfen zu erfahren (die teilweise etwas dünn ausfiel, wenn die Anmerkung erlaubt ist) und diese Herren mit Kritikern ins Gespräch zu bringen.

Trotzdem, mir fehlt da irgendwie noch was. 

Aus meiner Sicht sind ein paar Themen bisher nur oberflächlich oder überhaupt nicht diskutiert worden. Das ging mir auch beim MDR-Radiotalk zum Stichwort "Lügenpresse" neulich schon so (vgl. Flurfunk vom 21.1.2015: "Audiomitschnitt: 'Lügenpresse!? Wie glaubwürdig sind die Medien heute?'"). Ich befürchte, dass mit dem sich abzeichnenden Verschwinden von Pegida die ganze Diskussion wieder einschlafen könnte.

Deswegen hier und jetzt eine Reihe von Themen, über die wir Medienmacher vielleicht doch noch mal reden sollten:

  • Ist die Nähe zwischen Journalisten und Pressesprechern - gerade in der Politik - nicht vielleicht schon zu groß? Es geht nicht ohne, schon klar... Ich habe mich zu dem Thema an einem Beitrag (Titel: "Alles Mauschelei?") in unserem Magazin Funkturm versucht, weil es mich schon lange beschäftigt – es ist tatsächlich schade, dass Pegida bei der Funkturm-Erstellung noch keine Rolle spielte (Achtung, Eigenwerbung, hier kann man das Magazin bestellen!). Die Frage bleibt aber: Könnte es sein, dass Journalisten für die erste oder schnellste Information manchmal andere ethische Standards etwas schleifen lassen? Ist das nur ein Boulevard-Problem?
  • Und: Wie steht es in den Redaktionen und Medien eigentlich um den Umgang mit Fehlern? Ist die Fehlerquote wirklich höher geworden, wie manche Leute behaupten? Wie gehen Redaktionen mit Fehlern und Falschdarstellungen um? Brauchen wir vielleicht eine neue Fehler- oder gar Kritikkultur? Könnte man Nutzer, Leser, Zuschauer und -hörer da nicht mehr einbinden, im Zeitalter der sozialen Netzwerke?
    In den öffentlichen Gesprächen war bislang immer nur die Rede davon, dass der Journalismus qualitativ heute viel besser dasteht als früher (die Einschätzung teile ich durchaus). Gibt es aber soetwas wie "Schlagzeilen-Geilheit" bei Journalisten? Haben sich die Nachrichtenfaktoren in Richtung Skandal, Konflikt, Sex und Prominenz verschoben?
  • Durchaus schon angesprochen wurde das Stichwort Rudeljournalismus. Aber ändert sich da jetzt auch was? Wohl eher nicht, oder? Besteht überhaupt eine Chance, dass sich da etwas ändert? Das Stichwort Framing gehört in die gleiche Ecke - lässt sich das irgendwie durchbrechen? Sollte es? Und was ist mit dieser furchtbaren Methode, sich komplett auf die Recherchen anderer Medien zu verlassen, ohne das eigene Hirn einzuschalten?
  • Nächster Punkt: Die ökonomischen Zwänge in den Redaktionen hat Prof. Hagen (IfK) gestern sehr deutlich angesprochen, auf dem Podium wurden sie dann aber nicht wirklich diskutiert. Sie sind aber da! Nach der Veranstaltung kam ein Journalisten-Kollege auf mich zu und fragte, ob die Liste der 100 Medienköpfe im "Funkturm" eigentlich wirklich ohne Einfluss von Anzeigenkunden entstanden sei. Bitte?! Er war nicht der erste, der die Frage gestellt hat (am Rande angemerkt: Von allen unseren Anzeigenkunden hat nur einer nach Berichterstattung gefragt, was wir strikt abgelehnt haben - gleiches Prinzip gilt auch für den Flurfunk: hier kann man sich nicht einkaufen!). Also: Wie ist es um die Branche bestellt, wenn die direkt darin arbeitenden Menschen so eine Grenzüberschreitung als realistische Variante für die Entstehung so eines Produktes betrachten? Wie steht es eigentlich wirklich um die vielgerühmte und so hoch gepriesene Unabhängigkeit der Branche?
  • Gleich weiter: Wie groß ist eigentlich der Einfluss der PR auf die Berichterstattung – und wie geht man damit um? Wäre es nicht klüger, um mal einen Vorschlag zu machen, Meldungen und Themen immer direkt und leicht erkennbar zu kennzeichnen, die im Wesenlichen auf Pressemitteilungen basieren? Und: Wo fängt es an, dass die Vermarktungsideen von Verlagsmanagern die Glaubwürdigkeit des eigenen Mediums ankratzen? Ist es da nicht längst zu spät?
  • Gerne würde ich auch mal über das Qualitätsverständnis von Medien sprechen - darf Boulevard wirklich all das, was da so fabriziert wird? Gibt es da nicht auch irgendwo Grenzen? Wie steht es um den "Hinrichtungsjournalismus", wie es neulich ein Besucher einer SLpB-Veranstaltung nannte? Und müsste man die in ihrer Bedeutung stark gewachsenen kostenlosen Wochenzeitungen nicht mal unter den Pressekodex zwingen (geht natürlich nicht, schon klar...)?

Es gibt noch viele weitere Stichpunkte, die man jetzt hier auflisten könnte, ich will das aber nur erst einmal so stehen lassen (wer die Liste ergänzen mag: unten ist eine Kommentarspalte!).

Die große Frage: Hat da draußen jemand Interesse, diese und weitere Fragen – vielleicht auch erstmal nur mit Fachpublikum – weiterzudiskutieren? Vielleicht auch einmal in anderer Form, etwas der eines Barcamps, statt nur zwischen Podium und Publikum - das man richtig daran arbeitet und nicht "nur" redet? Oder die Medien veranstalten ein eigenes Dialogforum mit der Worldcafe-Methode? Fishbowl?

Wir sind für Anregungen offen und beteiligen uns gern an der Veranstaltungsorganisation. Wer ist dabei?
2 Kommentare
  • Lutz Hagen
    Januar 29, 2015

    Viele Themen, die owy vermisst, wurden nicht nur in meinem Vortrag angesprochen, sondern auch auf dem Podium ("Symbiose zwischen Journalisten und PR-Leuten-Politikern", "Indexing" ...).

    Die Aufzählung zeigt aber, wo das Problem solcher Veranstaltungen liegt: So viele (komplexe) Themen, so wenig Zeit!

    Kommunikationswissenschaftliche Forschung hat ihren Weg bislang nur selten aus elitären Zirkeln heraus gefunden. Aber sie hat reichlich klare Befunde zu fast allen Punkten aus der obigen Agenda vorgelegt! Um das zu belegen, werde ich meine Folien von gestern noch um die nötigen Quellenverweise ergänzen und bald öffentlich machen.

  • owy
    Januar 30, 2015

    @Lutz Hagen: Die Betonung lag auf "nur oberflächlich" - sicherlich ist zB auf dem Podium über das Qualitätsverständnis von Medien gesprochen worden, aber eben nur mit solchen Medien, die einen durchaus hohen Qualitätsanspruch haben. Die Diskussion über den Boulevard oder auch die Kostenlos-Presse sollte man aber trotzdem mal - und durchaus sehr vertieft, weil viele Menschen das mit den Qualitätsmedien gleichsetzen - führen...
    Die Folien binde ich hier gern ein bzw. zeige sie in einem gesonderten Blogposting!

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