Entlassung von Serge Dorny: „Frau Schorlemer hat sich entschieden“

Als die Welt noch in Ordnung war... (Foto: Matthias Creutziger)

Als die Welt noch in Ordnung war... (Foto: Matthias Creutziger)

Die abrupte Entlassung des designierten Staatsopern-Intendanten Serge Dorny ist auch eine Mediengeschichte. Denn Pressemitteilungen und Medienberichte spielten in dem Konflikt eine wichtige Rolle. 

Eine Analyse von Martin Morgenstern

Monatelang hatte eine Expertenkommission die Bewerbungen geprüft, danach zogen sich die Verhandlungen mit dem Wunschkandidaten hin. Einen würdigen Nachfolger für die verstorbene Semperopern-Intendantin Ulrike Hessler zu finden, war für den Freistaat Sachsen kein leichtes Unterfangen. Als im Juli 2013 ein "Insider der geheimen Findungskommission" die für Dresdner Verhältnisse saftigen Gehaltsforderungen des Bewerbers lancierte (vgl. "BILD Dresden" vom 15.7.2013: "Neuer Intendant fordert 300 000 Euro"), war klar: diese Personalie würde nicht freundlich, still und leise über die Bühne gehen.

Blutgrätsche in der Erwärmungsphase
Mit der vermutlich gezielten Indiskretion waren die Hierarchien am Haus schon einmal angedeutet. Klar, auch Fußballtrainer verdienen weniger als ihre Dribbel-Stars, und selbst die Opernintendanten der besten Häuser spielen, bezogen auf die dirigentische Champions League, finanziell eher Zweite Liga. Wenn indes schon während der Erwärmung die Blutgrätsche kommt, weiß der Fan: das wird kein leichtes Spiel.

Trotzdem, Dorny wurde im Herbst 2013 offiziell berufen. Eine am 17. September um 17:28 Uhr verschickte Pressemeldung berichtete, vor wenigen Stunden habe Serge Dorny "im Beisein von Kunstministerin Sabine von Schorlemer" einen Fünfjahresvertrag unterzeichnet und sei beauftragt, ab 1. Oktober die kommenden Spielzeiten vorzubereiten.

Bereits in dieser ersten Verlautbarung der Ministerin zur Ernennung steckt Konfliktpotential. Ihr Zitat: "Mit seiner Person verbinden sich Erfahrungen sowohl mit der künstlerischen Leitung eines Opernhauses als auch eines Orchesters". Subtiler formulierte es der Chefdirigent des Hauses, Christian Thielemann: "Ihm [Dorny] ist die große Tradition der Sächsischen Staatskapelle Dresden und der Sächsischen Staatsoper Dresden bewusst und ebenso wichtig wie allen Mitarbeitern." Zwischen den Zeilen hieß das auch: Vorsicht, Freundchen. Der Hase kann noch so schnell laufen, der Igel ist schon da.

Der künstlerische Konflikt zieht sich durch alle Pressemeldungen
Intendant versus Chefdirigent: Das Ministerium muss diesen offenkundigen künstlerischen Interessenkonflikt gesehen haben. Er durchzieht alle wörtlichen Verlautbarungen dieser Pressemeldung. Ob die Kunstministerin das Problem unterschätzte? Das ist kaum anzunehmen, war doch mindestens die letzte Bestallung Christian Thielemanns genau daran mit reichlich Porzellanverlust gescheitert (vgl. "Die Welt" vom 21.7.2009: "Star-Dirigent Thielemann vor Bruch mit München").

Die weitreichenden Kompetenzen des Chefdirigenten am Dresdner Haus im Nachhinein zu beschneiden, wäre – wir reden von Thielemann! – einem Himmelfahrtskommando gleichgekommen. Es ist unklar, warum sich die Findungskommission dennoch für einen Kandidaten entschied, der in dieser Hinsicht von vornherein klare Kante zeigte: Oper, Ballett und Staatskapelle wollte er enger vernetzen, Synergien nicht weiter verschenken, es brauche da eine "gemeinsame Handschrift" von Staatskapelle und Oper (vgl. "Musik in Dresden" vom 17.10.2013: "Die Wahrheit ist grau").

Mit der Formulierung "Nicht nur die Staatskapelle soll international sein!" hatte Dorny den Fehdehandschuh aufgenommen. Mit einem Mal drehte sich seine erste Dresdner Pressekonferenz nicht mehr um ihn, sondern um einen, der sich aus gesundheitlichen Gründen hatte entschuldigen lassen: Christian Thielemann.

Es muss in diesen Minuten gewesen sein, auf der improvisierten kleinen Bühne des Rundfoyers, dass der Ministerin insgeheim vermutlich der kalte Schweiß ausbrach. Wie hatte die Findungskommission diese Kernfrage, die Beziehung des künftigen Intendanten und seines Chefdirigenten, und ihr immenses Konfliktpotential nur so lange ignorieren können? Wäre eine enge Abstimmung dieser Personalie mit Christian Thielemanns künstlerischen Vorstellungen in allen Belangen das Allerwichtigste gewesen?

In diesem Interview behauptet Dorny, Thielemann bis dato, also zumindest bis Oktober 2013, nicht persönlich begegnet zu sein (wiederum eine versteckte Spitze des Kombattanten auf die Frage hin, wie lange er Thielemann wohl am Haus halten werden könne: "Jeder hat seine stillen Ziele". Damit war – natürlich – die Rattle-Nachfolge in Berlin gemeint). Sollte der Freistaat das entscheidende Vorstellungsgespräch mit Dorny tatsächlich ohne Thielemanns Anwesenheit geführt haben? Das wäre vielleicht rechtlich möglich, aber im Hinblick auf die hausinterne künstlerische Abstimmung ein unverzeihlicher Fehler gewesen.

Mit eisernem Besen gekehrt
Dass die Semperoper in punkto Operndirigenten eine offene Flanke präsentierte, muss allen Beteiligten klargewesen sein: überzeugen doch derzeit die Namen der für die laufenden Produktionen eingeladenen Gäste in den allerwenigsten Fällen (vgl. "Musik in Dresden" vom 4.3.2013: "'Thielemanns Haus' im Winterschlaf"). Jedem halbwegs mit der jüngeren Geschichte des Hauses vertrauten Zuhörer war klar, für die Semperoper galt und gilt: du sollst keinen Dirigentengott neben mir haben.

Es muss nun in den vergangenen Wochen am Haus viel passiert sein. Dorny soll mit dem eisernen Besen gekehrt haben, berichten mehrere Quellen. So bestellte er etwa "Solisten der Semperoper zum Vorsingen in den Pianosalon des Dresdner Coselpalais, darunter jene, die länger als 15 Jahre dabei und sowieso unkündbar sind" (vgl. "Sächsische Zeitung" vom 22.2.2013, S.14: "Aus vorm Anfang", hinter der Bezahlschranke)

Einem Außenstehenden könnte es naheliegend erscheinen, dass sich ein neuer künstlerischer Leiter erst einmal ein möglichst umfangreiches Bild von den Potentialen seines Hauses macht. Aber man kann dieses Vorgehen auch als unverhohlene Provokation den Mitarbeitern des Hauses gegenüber lesen.

So lässt denn die gestrige Pressemeldung des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Formulierungen der Ministerin klingen ungewöhnlich harsch; vielleicht, weil man rechtlichen Schritten Dornys vorbeugen wollte?

Kommunikationsdesaster vor den Landtagswahlen
Dennoch bleibt die Entlassung in einigen Punkten vage. Die Rede ist vom Vertrauen, dass Dorny "in kürzester Zeit verspielt" habe. Die sofortige Kündigung sei alternativlos; erfolgt, "um Schaden von der Oper im In- und Ausland abzuwenden".

Die beiden Kernsätze sind die folgenden: "Serge Dorny wurde während der Vertragsverhandlungen umfassend über die Situation in der Sächsischen Staatsoper und über bestehende Rechte, etwa der Staatskapelle und Dritter informiert. Trotzdem wurde in den vergangenen Monaten seiner Tätigkeit deutlich, dass Herr Dorny nicht bereit war, sich auf die vorliegenden Bedingungen einzulassen". Zack, bumm, aus.

Mit dieser abrupten Kündigung erlebt der Freistaat Sachsen ein selbstverschuldetes Kommunikationsdesaster sondergleichen, bei dem die letztendlich Leidtragenden – da hat Dorny in seiner Stellungnahme zu seiner Entlassung in gewisser Weise recht – die Mitarbeiter der Semperoper sind.

Wer aber wird sich künftig, nach dieser irritierenden Vorgeschichte, noch nach Dresden bewerben? Die Findungskommission wird sich definitiv nur für einen Kandidaten entscheiden, der die einmal mehr gefestigte Hausmacht Thielemanns unter keinen Umständen antastet. Ergo: einen schwachen. Künstlerisch ist das für die Staatsoper, aber eben auch für die Staatskapelle keine gute Nachricht - weder für die Zeit mit ihrem Hausgott noch für die Zeit danach.

Ein Riesenproblem sind dazumal die kommenden Landtagswahlen: Wäre es überhaupt noch politisch statthaft, vor September 2014 einen neuen Intendanten für Sachsens Opernhaus zu ernennen? Das Dresdner Tagesgeschäft, aber auch die künstlerischen Perspektiven des Hauses bei den überlangen Planungshorizonten der Opernwelt betreffend, wiegt die außerordentliche Kündigung Dornys zu diesem Zeitpunkt umso schwerer.

Dorny hat seiner Arbeitgeberin überdies deutliche Kritik ins Hausaufgabenheft geschrieben. Der Kunstministerin fehle "politische Courage und Weitsicht"; ihre Entscheidung, ihn zu entlassen, statt weiter den konstruktiven Austausch mit dem Chefdirigenten zu suchen, sei der Beweis; und übrigens auch "die einzige, die sie seit meiner Vertragsunterzeichnung getroffen hat".

Der Schlussatz seiner Stellungnahme – "Frau Schorlemer hat sich entschieden" – ist, wenn man den bisherigen Umgang des geschassten Intendanten mit seinem Arbeitgeber zum Maßstab nimmt, als weitere unverhohlene Kampfansage zu werten. Es wäre eine Überraschung, wenn Dorny nicht versuchen würde, gerichtlich eine Entschädigung in Höhe seiner entgangenen Bezüge einzuklagen. Vier Monate vor der Landtagswahl wäre ein solcher Rechtsstreit das Letzte, das die Kunstministerin gebrauchen könnte.

5 Kommentare
  • Mike Wagner
    Februar 23, 2014

    Danke. Aufschlussreich.

  • Daniel B.
    Februar 23, 2014

    Danke für die umfangreiche Aufklärung.

  • S.
    Februar 24, 2014

    Sachsen kann's eben ! Eigentlich wie immer......

  • Kai Ludwig
    März 9, 2014

    Man sollte dabei nicht vergessen, daß die Durchstechereien in Richtung „Bild“ bzw. einem regelmäßig für „Bild“ tätigen Autor (die übrigens auch überregional mit Stirnrunzeln registriert wurden) nicht erst mit den geforderten 300 Kiloeuro anfingen. Dort konnte man auch schon von der auf Serge Dorny gefallenen Entscheidung lesen, als seriöse Dresdner Kulturjournalisten noch Listen vermeintlicher Favoriten (generisches Maskulinum, versteht sich) durchgingen und für mein Empfinden auf diese Weise regelrecht gedemütigt wurden. Da fragt man sich dann schon, wer das eigentlich ist, der in „Bild“ das passende Medium für solche Informationen sieht.

    Eine Mediengeschichte ist aus meiner Sicht auch, wie widersprüchlich die veröffentlichte Meinung über diese Institution ist. Auf der einen Seite wird das Klischee von der „Touristenoper“ noch extra auf der großen Herdplatte aufgewärmt. Auf der anderen Seite sind Bemühungen, etwas gegen dieses Klischee zu tun, dann die „Zerstörung einer Dresdner Hochkulturmarke“ und werden sogar regelrecht publizistisch bekämpft. Für mein Empfinden war es jedenfalls eine harte Kampagne, bei der mir die Formulierung „sturmreif schießen“ in den Sinn kam, was die Sächsische Zeitung vor anderthalb Jahren in mindestens zwei größeren Artikeln über die Inszenierung von „We come to the river“ schrieb.

    Nun geben die Medien da letztlich nur wieder, was wohl die ganze Stadt betrifft. Trotzdem gilt eine Anmerkung, die mal jemand in Berlin machte, wohl nicht nur dort: „Die Zeitungen schreiben unsere Opernhäuser kaputt.“

  • Hella
    Januar 29, 2015

    Die ganze Theaterintrigen-Bagage aus Dresden rausschmeißen und neue Leute einstellen!

    Es gibt zahllose junge Leute mit Weltklasse-Fähigkeiten, die zu vernünftigen Preisen einen den Dresdener Traditionen und den Dresdener Zukunftsplänen WÜRDIGEREN Opernspielbetrieb garantieren würden, als es diese abgehobenen "Diven im Frack" jemals könnten.

    Brahms Requiem unter Thielemann - ein Desaster! Pure Eitelkeit und peinlichste Selbstdarstellung, statt spiritueller Tiefe!
    Eine üble Karajan-Karikatur!

    Gottseidank ist die Dresdener Staatskapelle über solche Desaster erhaben und macht die berühmte und sprichwörtlich "gemiedliche" gute Miene zum überaus Bösen Spiel vorn auf dem Pult: Es wird auch ohne dirigenten noch gute musik, wenn auch mit traurigen abstrichen. Die Kapelle kann mehr! Das beweisen Aufnahmen undiskutierbar!

    Die heutigen Staatskapellisten sind zu brav im Verhältnis zu ihren hervorragenden Leistungen!
    Ich habe noch gut Prof. Reinhard Ulbrichts (vor langer Zeit der bewährte und überaus von den Musen begnadete Stimmführer der zweiten Violinen) bei ähnlich peinlicher Gelegenheit (in einer Probe) nach hinten in seine Gruppe gewandte, durchaus auch noch im Mittelparkett zu vernehmende Frage in bestem Sächsich im Ohr:"WOO gommt der här? Wie heest där??!" Damit war über die Qualität des Dirigenten alles gesagt - das Konzert konnte ohne ihn stattfinden, obgleich er dabei am Abend "irgendwie" auf dem Dirigier-Podest anwesend war ...
    Dieselbe Frage stellt sich heute bei Thielemann.
    Er sollte erstmal Opern dirigieren lernen. Denn die Dresdener Staatskapelle ist kein Konzertorchester.
    Und einen Intendanten, dem es an der nötigen Diplomatie fehlt, solche gröbsten und peinlichsten Mißstände mit der nötigen Diskretion zu beseitigen, braucht Dresden erst recht nicht!
    Nun, da diese Chance von den "Profis" ohnehin vergeigt ist, muß ich mich als peinlich berührte Zuhörerin (ich habe in Dresden auch schon sehr viel besseres erlebt!) in fortgeschrittenem Semenster (94) nicht zu Diplomatie zwingen.
    Mögen die Dresdner Musiker lieber wieder wie zu Heinrich Schützens Zeit mit zwei Knabensimmen und einer verstimmten Orgel ganz von vorn anfangen, wie sie es seither schon so oft tun mußten, als ihrer wertvolle, international wichitge arbeit und Tradition noch länger derart in den Dreck ziehe nzu lassen! Sie können das Wiederauferstehen und zwar erfolgreich, das haben sie MEHRFACH bewiesen! Das können dann selbst plötzliche Todesfälle begnadeter Chefdirigenten nicht verhindern. Die Musik liegt im slawisch-deutsch -italienisch geprägten Dresden einfach in der Luft. Unausrottbar.
    Mögen sich dieHeinzelmännchen woanders lächerlich machen ...
    Jedoch:
    Kunst ist Spiegel der Gesellschaft.
    Insofern wundert es nicht, wenn die STAATS-Kapelle WIEDER EINMAL unter ähnlich schlechten Rahmenbedingungen arbeiten muß, wie alle Sachsen ...

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