Anne Bartsch: Was ist gute öffentlich-rechtliche Unterhaltung?

Anne Bartsch ist Professorin für Empirische Kommunikations- und Medienforschung an der Universität Leipzig. Sie befasst sich mit Mediennutzung und emotionaler Medienwirkung. Aktuell forscht sie u.a. über „Politikvermittlung an der Schnittstelle von Unterhaltung und Information“ und „Empathie und formale Merkmale von audiovisuellen Narrationen“.

Im Interview mit FLURFUNK spricht sie darüber, was gute (öffentlich-rechtliche) Unterhaltung kennzeichnet und was Jan Böhmermann und Florian Silbereisen damit zu tun haben.

"Es gibt Produktion, die Benchmarks setzen"

FLURFUNK: Frau Bartsch, was ist gute Unterhaltung?

Prof. Dr. Anne Bartsch, Universität Leipzig

Prof. Anne Bartsch: Da ist die Frage, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Aus Sicht des Publikums sind sicherlich Spaß und Spannung, also der Nervenkitzel, die großen Unterhaltungsmotive. Es kann auch das emotional Bewegende, das Nachdenkliche dazukommen. Das ist mein Forschungsgebiet. Was sicher viele Menschen von der schönen Komödie oder von einem guten Actionfilm erwarten ist, reingezogen zu werden in diese Welt der Fiktion, um an nichts anderes zu denken. 

FLURFUNK: Gefühle sind also wichtig?

Bartsch: Warum zahlen Leute Geld, um mal wieder richtig zu weinen? Warum gucken Menschen Horrorfilme? Da ist man mental so absorbiert, dass man keinen Platz mehr hat, an seine Alltagssorgen zu denken. Oder man bekommt das durch Humor, dass man so Abstand gewinnt. 

FLURFUNK: Gehört noch mehr zur „guten Unterhaltung“?

Bartsch: Ich habe in den vergangenen Jahren mit mehreren Kolleginnen und Kollegen den Begriff der „eudaimonischen Unterhaltung“ entwickelt: Diese harmonische Unterhaltung ist die, die mich emotional bewegt und gleichzeitig zum Nachdenken angeregt. Filme, die einem dann noch länger im Kopf umgehen, oder Serien, bei denen man mitfühlt und mitleidet und anfängt über Themen nachzudenken – auch das kann ein Aspekt von Unterhaltung sein. 

FLURFUNK: Damit bekommt die Unterhaltung auch eine gesellschaftliche Dimension…

Bartsch: Das, was das Publikum will, ist das eine. Das sind meist die Sachen, die guten Marktanteile und Quoten bringen. Das andere ist die deutlich komplexere Public-Value-Perspektive: Was geht jetzt über das einzelne Individuum hinaus und gibt einen Mehrwert für die Gesellschaft? Da sind wir dann wirklich in so einem Gebiet, in dem es bis jetzt kaum Forschung gibt. Eine Sache, die vielleicht naheliegend ist, nenne ich „Fakt und Fiktion“: also Informationsvermittlung durch Unterhaltungsmedien. Es gibt viele Leute, die wenig oder gar keine Nachrichten konsumieren, deren Medienkonsum einfach aus Unterhaltung besteht. Die Frage ist, wie kommt man an die ran, wie vermittelt man da Themen und Informationen? Da wäre ein naheliegender Public-Value-Faktor: Wie nah ist das jetzt an der Realität, was da in den Unterhaltungsmedien kommt? 

FLURFUNK: Können Sie das genauer erklären?

Bartsch: In der Unterhaltung gibt es ja ein ganzes Spektrum von Anspruch: An einem Ende gibt es vielleicht irgendwelche Zombie-B-Movies, da muss es splattern. Und dann gibt es am anderen Ende vom Spektrum den investigativen Spielfilm, wo eine investigative Recherche als fiktionaler Film umgesetzt wird, wie zum Beispiel Meister des Todes von Daniel Harrich. Oder gut recherchierte Filme wie „Systemsprenger“, wo die Regisseurin Jahre recherchiert, sich mit einem Professor für Intensivpädagogik durch sämtliche Akten vom Jugendamt liest und versucht, das Gemeinsame an diesen Fällen von Systemsprenger-Kindern zu verstehen. Und das ist eben nicht die Herkunft, wie sie in der Recherche festgestellt hat, sondern da geht es um Traumata und Vernachlässigung und eine Psyche, die aus dem Ruder gelaufen ist. 

FLURFUNK: Aber das Recherche-Ergebnis könnte man doch auch in eine Reportage oder Dokumentation verpacken? Warum einen Spielfilm?

Bartsch: Das Beispiel Systemsprenger zeigt sehr schön, wo die Fiktion Vorteile gegenüber Informationsmedien hat. Informationsmedien können die Kamera auf den realen Fall draufhalten. Wo man aber auch sofort sagt: Ist das überhaupt noch ethisch vertretbar, so ein Systemspringer-Kind zu filmen, wenn es ausrastet oder von den Eltern geschlagen wird oder was auch immer? Da kann die Fiktion dann bündeln und verfremden und dadurch den eigentlichen Informationsgehalt sogar noch besser rausholen. Das ist jetzt so das Hochleistungsspektrum von dem, was Fiktion leisten kann. Da habe ich Hochachtung auch vor der Informationsvermittlung und wie die da stattfindet. Da ist die Unterhaltung nicht nur Vehikel oder Zuckerkruste, sondern da geht es um etwas. 

FLURFUNK: Waran erkenne ich eudaimonische Unterhaltung?

Bartsch: Bei der eudaimonischen Unterhaltung geht es viel um emotionale Bewegtheit, um Nachdenklichkeit, um Empathie und Perspektivübernahme mit Figuren. Das ist die Kernkompetenz von Unterhalt: Emotional bewegenden Einzelschicksale zu zeigen, wo das Publikum aus der Perspektive einer Figur ein Thema aus der Innenperspektive erlebt und dann plötzlich ein ganz anderer Relevanzkontext da ist. Das sieht man auch bei Themenabenden, das machen die Öffentlich-Rechtlichen ja sehr schön: Es gibt einen Spielfilm und also ein Unterhaltungsangebot, mit dem die Leute auf der Couch abgeholt werden mit ihrem Unterhaltungsbedürfnis. Und wenn sie dann einmal emotional involviert sind, dann bekommen sie ein Informations-Angebot, eine Dokumentation oder eine Talkshow. Das weiß man auch vom Audience-Flow: Niemals würden diese Dokus so eine Quote schaffen, wenn nicht der Spielfilm zum gleichen Thema vorher gelaufen wäre.

FLURFUNK: Und was untersuchen Sie da?

Bartsch: Irgendwo auf dem Spektrum zwischen diesem Zombie-Movie und einem investigativen Spielfilm sind die Unterhaltungsmedien, zu denen wir forschen. Für mich ist spannend: Wie finden wir gute Formen, Informationen zu vermitteln, die vielleicht über die reinen Fakten hinausgehen, aber die Fakten integrieren? Wo sind da die Grenzen? Da kann Fiktionen auch vieles leisten. 

FLURFUNK: Spielfilme sind jetzt Fiktion. Hätten Sie auch ein Beispiel aus dem Unterhaltungsbereich?

Bartsch: Man bekommt das ja mit, dass immer wieder auch Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten etwa mit Jan Böhmermann zusammenarbeiten, nach dem Prinzip: „Ich fange nicht an zu predigen, bevor die Kirche voll ist!“ Dass die Journalistinnen und Journalisten nicht ihre teils jahrelangen Investigativ-Recherchen, für die sie vielleicht sogar ihr Leben riskiert haben, nur für ein kleines Publikum veröffentlichen wollen… 

FLURFUNK: Aber gerade das Format von Böhmermann sorgt ja immer wieder für Diskussionen: Ist Böhmermann aus gesellschaftlicher Sicht gute öffentlich-rechtliche Unterhaltung?

Bartsch: (Lacht) Das ist sicher nicht allein an mir zu beurteilen, welche gesellschaftlichen Werte man da anlegen will. Aus wissenschaftlicher Sicht kann ich sagen: Er bringt kontroverse Themen auf und vermittelt diese an ein Massenpublikum. Das ist sicherlich schon mal gut. Die Frage ist dann wiederum, wie solide ist der Informationsgehalt, da gab es ja gerade erst wieder Diskussionen. Aus gesellschaftlicher Sicht könnte man das – wenn die Gesellschaft das eben so will – als gute Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Sinne bezeichnen. Auch wenn es viele Einzelpersonen oder Bevölkerungsteile gibt, denen das jeweils nicht so passt. 

FLURFUNK: Ist Florian Silbereisen gute Unterhaltung? Gehört das zum Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien dazu oder eher nicht?

Bartsch: Da ist man wahrscheinlich eher so bei diesem: Was ist markt- und publikumsgängig? Wir nennen das die hedonistischen und eskapistischen Motivationen. Der gesellschaftliche Mehrwert, die ich da eventuell erkennen kann ist, dass solche quotenstarken Angebote auch eine Integrations- und Identifikationsfunktion haben. Integrationsfunktion meint: Diese Milieus würden sonst normalerweise gar nicht miteinander kommunizieren, jetzt können sie sich aber gemeinsam für etwas begeistern. So Sachen wie Fußball, Eurovision Song Contest oder Tatort – da gibt es etwas Integratives, wo die Unterhaltung verschiedene Altersgruppen, verschiedene soziale Milieus zusammen bringt, die dadurch etwas Gemeinsames haben, worüber sie reden können. Die gemeinsame Begeisterung für Medieninhalte, das ist auch schon ein gesellschaftlicher Mehrwert.

FLURFUNK: Ist die Fernsehunterhaltung besser geworden in den vergangenen Jahren?

Bartsch: Sie ist besser und schlechter geworden. Wie gesagt: Wenn ich so etwas sehe wie investigative Spielfilme, denke ich: wow! Es gibt inzwischen auch fiktionale Produktionen mit krassen Budgets, da denke ich an bestimmte Medical-Serien, da springen ein Haufen Ärzte rum, die die da jedes Detail durchchecken. Das ist ein Ende des Spektrums. Wir haben viele Interviews geführt mit Medienschaffenden, mit Regisseurinnen und Regisseuren, Drehbuch-Redaktionen, Schauspielerinnen und Schauspielern, Requisiteuren. Da sieht man, es gibt so Produktion, die Benchmarks setzen. Und selbst, wenn die das Budget nicht haben, bemühen sich andere Produktionen, diese Maßstäbe umzusetzen.
Gleichzeitig gibt es natürlich aber auch einen riesen Markt, für den ohne großen Wahrheits- oder sonstigen Qualitätsanspruch produziert wird. Ich glaube, das Spektrum ist vielleicht einfach weiter geworden.

FLURFUNK: Vielen Dank für das Interview!

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