Frage an den SZ-Kulturteil: Wer hat an der Uhr gedreht?

Von 9 ,

Im Kulturteil der "Sächsischen Zeitung" scheint die Zeit stehengeblieben zu sein – zumindest erweckt die Wochenendausgabe vom 5./6.3.2011 den Eindruck.

Da findet sich der Artikel: "Wut und Angst und Gedanken an Rache" (Artikel bei SZ-Online nur hinter der Bezahlschranke). Der Autor Andreas Körner macht darin auf die Veröffentlichung der DVD-Reihe „The Pacific“ aufmerksam. "Die zehnteilige Weltkriegs-TV-Serie von Steven Spielberg und Tom Hanks, erscheint auf DVD" heißt es in der Zwischenüberschrift. Ähhh, bitte?! Die DVD-Reihe steht bereits seit Ende November bei mir im Regal. Im Dezember führte die Serie sämtliche Verkaufscharts der großen Elektronikmärkte an.

Ein knappes halbes Jahr nach der DVD-Veröffentlichung bringt die "SZ" nun die Rezension, als sei der DVD-Erscheinungstermin brandaktuell. Lag der Artikel vielleicht in der Redaktion auf Halde und musste als Platzfüller herhalten? Das ist im Tageszeitungsgeschäft nix Ungewöhnliches – und zeigt doch, wie schlecht das Medium auf gedrucktem Papier gegenüber dem Internet aufgestellt ist. Die "Platzbegrenzung" der Zeitung durch die Tatsache, dass bedruckte Seiten einfach irgendwann voll sind, ist ein klares Minusargument gegenüber dem aussterbendem Medium.

Abgesehen davon kann man den Lesern von heute nicht mehr falsche Tatsachen verkaufen, ohne dass die sich in irgendeinem nervigen Blog (Achtung, Selbstironie!) darauf stürzten und Häme über der Redaktion auskippen. So oder so: Rezensionen ein halbes Jahr durchschleppen - das ist voll 80er. Nicole Kirchner

9 Kommentare
  • holger daun
    März 9, 2011

    guten tag, prinzipiell richtig. aber dennoch besser so als gar nicht, weil wichtige dvd-veröffentlichung.
    und: drei monate sind noch viel, aber noch immer kein halbes jahr. genauer hinsehen beim kritischen kommentieren!!!!
    gruß holger

  • Oliver Reinhard
    März 9, 2011

    Richtiges Fazit ("Das ist im Tageszeitungsgeschäft nix Ungewöhnliches – und zeigt doch, wie schlecht das Medium auf gedrucktem Papier gegenüber dem Internet aufgestellt ist"), aber unvollständiger Schluss:
    Statt nur "nix Ungewöhnliches" und "voll boer" ist so etwas eben auch "voll normal". In allen Tageszeitungen. Vor allem in solchen mit maximal 2 Kulturseiten täglich wie der Unsrigen. Das ist sicher etwas wenig, vor allem an Tagen wie z.B. dem 10.3., an dem auf einen Schlag Dutzende Bücher und DVDs in den Handel kommen, dazu über 20 CDs (nur die relevanteren eingerechnet) in die Läden und zehn Filme ins Kino.
    Soll heißen: Ebensogut wie über nachgezogene Rezensionen in Tageszeitungen könnte man sich darüber aufregen, dass Wasser nass ist.

  • Nicole
    März 9, 2011

    @Oliver: Ich kann aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen, wie schwierig es ist auf max. 2 Kulturseiten das wichtigste und spannenste zu filtern und einen guten kompententen Überblick den Lesern zu geben. Ich weiß, wie viele Produktionen wöchentlich erscheinen - da fällt die Auswahl oft nicht leicht, eben weil öfter mehr gute/spannende Themen da sind als man eigentlich Platz hat. Wäre es aber dann nicht konsequent sich auch genau darauf zu konzentrieren, um aktuell zu bleiben? "The Pacific" ist durchaus ein wichtiges Thema - keine Frage. Wenn ich aber das Thema zeitlich verpasst habe, müsste man als Tageszeitung dann nicht sagen: "Okay, schade. Hätten wir machen müssen, hat aber nicht platzmäßig nicht gepasst. Jetzt ist es aber zu spät?"

  • ste
    März 9, 2011

    Oder das Thema zumindest so bearbeiten, dass das tatsächlche Erscheinungsdatum des rezensierten Werks transparent wird.

    Denn Platzmangel hin oder her: "...erscheint auf DVD" ist drei bis vier Monate nach Erscheinen einfach die falsche Zeitform.

  • Oliver Reinhard
    März 9, 2011

    Nicole, das ist meistens nicht praktikabel und auch nicht unbedingt notwendig. Das Gros der Kulturbeiträge behandelt tagesaktuelle Themen wie Theaterinszenierungen, Opernpremieren, Konzerte, Filmstarts, kulturpolitische Debatten usw. Die habe immer Vorrang vor weniger aktuellen Themen wie etwa einer DVD-Neuerscheinung. Und selbst von den nicht unbedingt tagesaktuellen - naja - Kulturprodukten wie DVD, Buch, CD sind die wenigsten so wichtig, dass sie unbedingt schnellstmöglich ins Blatt müssen. Das versuchen wir zwar immer wieder trotzdem, aber es klappt eher selten.
    Wichtiger ist es für uns, über relevantere Dinge wie die Pacific-DVD-Box überhaupt etwas zu bringen. Der zeitliche Maximalrahmen für Veröffentlichungen orientiert sich dabei mehr oder weniger am Buchmarkt: Die Herbst-Winter-Novitäten sollten möglichst vor Anbruch der Frühjahrssaison besprochen werden, die aus Frühjahr und Sommer vor dem Herbst. Im Zweifelsfall ist uns Nachhaltigkeit lieber als internetkonkurrenzfähige Stresserei, die eh unmöglich ist für eine Tageszeitung.
    Und da "Pacific" ein gutes Beispiel ist, noch etwas: Wer ein Buch oder eine DVD-Box besprechen will, muss das Buch ja erst einmal lesen bzw. die zehn Pacific-Folgen sichten. Da fast alle unserer freien Autoren nebenberuflich für die SZ arbeiten, tun sie dies nach Feierabend oder am WE, und das kann folglich Tage und Wochen dauern. Würde ich jedem Autoren, der etwas mehr Zeit benötigt, nach dem späten Einreffen seines Textes ein "zu spät, machen wir jetzt nicht mehr" entgegenhalten, würde ich ihn erstens unfair behandeln und zweitens der SZ so viele Ausfallhonorar aufhalsen, dass unser Kohlebunker binnen Wochen leer wäre.
    Beste Grüße
    Oliver

  • Oliver Reinhard
    März 9, 2011

    ste - völlig richtig.
    "Ist erschienen" wär besser gewesen.
    Bleibt halt ein wenig tricky, dass wir in Vorspännen uns die Regel auferlegt haben: immer Präsens.

  • owy
    März 9, 2011

    @Oliver Reinhard: Vielen Dank für die Kommentare und die Einblicke - in der Tat, mit einem "ist erschienen" wäre der Blogeintrag vermutlich gar nicht erst zustande gekommen.

    Der Kulturteil der SZ agiert sogesehen sicher im Rahmen seiner (bisherigen) Möglichkeiten. Die widersprechen aber doch, wenn man es ehrlich betrachtet, den Bedürfnissen und Gewohnheiten vieler Leser, die heutzutage zur Erscheinung informiert sein wollen (und es im Zweifel auch sind). Oder nicht? Ohne jemanden zu nahe treten zu wollen: Das Vorgehen ist doch schlicht einfach nicht mehr zeitgemäß!?

    Wäre es nicht folgerichtig, sich von dem Anspruch der Vollständigkeit zu verabschieden und solche Dinge gar nicht mehr zu besprechen?

  • Oliver Reinhard
    März 9, 2011

    Ich würde sagen, das Vorgehen ist so zeit- bzw. unzeitgemäß wie die Besprechung von Büchern, Alben, DVDs in Tageszeitungen an sich.
    Aber ich bezweifle, dass wirklich so viele Leser von TZs dem Prinzip folgen "entweder pünktliche Besprechungen oder gar keine". Für Schnelligkeitsfans gibt es diverse Webzines, die allerdings auch mehr als genug Schnellschüsse abgeben, weil sie oftmals das Hauptaugenmerk auf stilistische Coolness und szenekompatible Atttitüde legen. Genau wie die Printer Vision, Musikexpress, Intro usw. Was ok ist, aber meiner Meinung nach nicht unbedingt sakrosankte Standards setzen kann.
    Natürlich müssen TZs stärker selektieren, und das tun sie auch. Mit dem Ergebnis, dass natürlich nicht alles besprochen wird, nicht einmal das meiste - wie denn auch - sondern nur Ausgewähltes, und das in möglichst ausgewogener Gewichtung.
    Ausgewählt wird übrigens auch im Hinblick darauf, welches Buch / welches Album usw. wohl auf breites Leserinteresse stoßen wird und welches weniger. Deshalb sind z.B. Alben wie die neuen von In Extremo oder Wir Sind Helden (egal, wie sie uns persönlich gefallen) in der Regel auch zum VÖ-Termin oder maximal ein paar Tage danach im Blatt. Und andere wie das neue von Jupiter Jones eben notfalls später.
    Ich halte das zwar nicht für absolut perfekt. Aber wir müssen uns an unseren Möglichkeiten (worauf du zu Recht anspielst) orientieren, nicht an denen des Internets.
    Und bei aller Selbstkritik finde ich, das lief schon mal besser (hängt auch immer von der Leidenschaft des jeweils Zuständigen für Film, Buch, Pop ab), läuft aber immer noch ganz ok. Solange wir immer noch Rückmeldungen von diversen Plattenläden bekommen, dass eine CD usw. zwar schon zum VÖ-Termin gut vertickt wurde, aber nach der SZ-Rezension nochmal ein zweiter Verkaufsschwung eingesetzt hat, mache ich mir keine Sorgen, dass unser Vorgehen wirklich völlig aus der Zeit und den Bedürfnissen ganzer Lesermassen gefallen ist. Ohne dass ich darin einen Grund sehe, sich zurückzulehnen.
    Aber jetzt muss ich dringend die Filmrezension von "Wer wenn nicht wir?" zuendebringen. Der startet nämlich morgen und wird selbstverständlich in ganz zeitgemäßer Tagesaktualität im Blatt sein ;-)

  • Martin
    März 10, 2011

    Diskussion geht mir bisschen am Thema vorbei. Klar, die SZ hätte reinschreiben können "ist erschienen", hat sich aber für das samtene Kaschieren entschieden. So what, die BILD kramt aller halben Jahre Themen wieder hervor, die im Ursprung auf hornalte dpa-Tickermeldungen zurückgehen (hatte ich kürzlich mal in einem FB Posting nachverfolgt). Die Realität ist doch, ich als Freier schreibe Oliver ne DVD-Rezension, und am Tag vor Erscheinen stirbt Romy Schneider. Dann wird der Gemüsegarten halt verschoben, bis er mal wieder passt. Und ich sitze zuhause und gucke derweil meine Kontoauszüge an.

    Viel bedenklicher finde ich, dass SZ und andere den Blick für die langfristige Entwicklung verloren zu haben scheinen und sich ins Tagesgeschäft stürzen. ZB Schulungen für Lehrer nach Schema X machen. Obwohl Menschen unter 25 heute KEINE TAGESZEITUNG MEHR LESEN - warum sollten sie das also auf einmal tun, wenn sie älter sind - nur, weil sie das Konzept Print mal in der Schule kennengelernt haben? Auf diese grundlegenden Fragen wünsche ich mir viel kreativere Antworten.

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