Neue sächsische Medienpolitik: Zwischen Tradition und Moderne

Ein Gastbeitrag zum sächsischen Koalitionsvertrag.

Gibt es in der sächsischen Medienpolitik eine Wende?
Steffen Grimberg, Autor des NDR-Medienmagazins ZAPP, vernimmt "neue Töne aus Sachsen". Für ihn wartet die schwarz-rote Koalition "im Medienbereich mit einigen Überraschungen auf", schreibt er im ZAPP-Blog. Man schlage für Sachsen "ungewöhnlich moderate Töne an". Der Filmverband Sachsen stellte gleich nach Veröffentlichung der Koalitionsvereinbarung fest: "Aus kultur- und medienpolitischer Sicht ist es ein großer Wurf. Aber wie immer gilt: An ihren Taten sollst du sie messen."

Für Ralf Julke (Leipziger Internetzeitung) hat der Koalitionsvertrag eine Schlagseite: "Den Leser überrascht natürlich nicht, dass man bei CDU und SPD tatsächlich glaubt, mit dem staatlich gepuschten Rundfunk und diversen Lokalsendern so eine Art 'Medienvielfalt' in Sachsen am Leben zu erhalten. Aber zumindest hat man jetzt auch die nichtstaatlichen Medienmacher entdeckt – zumindest als Kreditnehmer für diverse Mikro-Darlehen." Er kritisiert, dass eine "wirkliche Analyse der sächsischen Medienlandschaft fehlt". Schuld daran ist für ihn vor allem die CDU, die "die vergangenen fünf Jahre weitestgehend damit zu tun hatte, die Intendantenkür beim MDR zu managen." Einen echten Fortschritt sieht er darin, "dass man sich zumindest dazu bekennt, den Bürgerradios eine verbesserte Förderung geben will."

Und der Journalist Andreas Szabo fragt, insbesondere im Hinblick auf das angekündigte ARTE-Ost, ob der "Osten seinen eigenen neuen TV-Sender" bekommt. Für ihn zeigt sich neben dem Visionären und Grundsätzlichen "schwarz-rot überraschend konkret".

Wie stellt sich dies nun konkret dar? Worauf haben sich die Partner geeinigt?
ARD und ZDF, also auch der MDR, erhalten eine Entwicklungsperspektive in die "digitale Welt", die sie nicht auf "Lücken und Nischen", die ihnen private Sender lassen, begrenzen. Damit übernimmt die Koalition die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts. Private Sender sowie Verleger hatten diese Begrenzung immer wieder ins Gespräch gebracht: die öffentlich-rechtlichen Sender sollten anbieten, was der Markt nicht hergibt.

Auch wenn einem der gesunde Menschenverstand sagt, dass der MDR-Staatsvertrag nach fast 25 Jahren unveränderter Gültigkeit überarbeitet werden muss: dies wollten einige Medienpolitiker bisher trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den ZDF-Gremien nicht.

Die neue Koalition zeigt sich nicht als reiner Lobbyist von ARD, ZDF und MDR. Sie will den Medienstandort stärken. Deshalb fordert sie eine faire Aufteilung der Rechte zwischen Sendern und Produzenten. Sie kündigt ein Medienförderprogramm an. Zudem will sie den Standort profilieren. Dabei nimmt sie den Kinder- und Animationsfilm ins Visier. Zudem hat sie den Wert der hier ansässigen Festivals, Verbände und Institutionen in diesem Bereich erkannt und sogar zum Ausgangspunkt für einen "filmwirtschaftlichen Cluster" erklärt.

Wenn dem, wie in anderen Bereichen (Automobil-, Textil-, Bahnindustrie sowie Biotechnologie etc.) auch fördernde Maßnahmen folgen, dann könnte die hiesige Landschaft in den nächsten fünf Jahren einen enormen Aufschwung erfahren. So will die Koalition prüfen und weitere Mittel für diesen Bereich der Mitteldeutschen Medienförderung zuweisen.

Zugleich will die Koalition die Medienvielfalt fördern, indem lokale Fernsehsender unterstützt werden – wenn sie journalistische Mindeststandards erfüllen und das gesellschaftliche und kulturelle Leben widerspiegeln.

Nichtkommerzieller Rundfunk soll Förderung bekommen
Nach mehr als 20 Jahren nimmt die sächsische Medienpolitik die Hürde, den nichtkommerziellen Rundfunk zu fördern. Dies soll so geschehen, dass ein regelmäßiger Sendebetrieb möglich und mittelfristig Planungssicherheit gewährleistet ist.

Auch die Idee eines ARTE-OST weist in die Zukunft, auch wenn diese schon mehr als 20 Jahre alt ist. In der Vergangenheit hatte diese Idee keine Chance, da ein neuer Fernsehkanal nicht gewollt war. Doch im Zeitalter der Apps und Plattformen, angesichts der Zusammenarbeit polnischer und tschechischer Sender mit ARTE sowie dem MDR zeichnen sich hier ganz neue Perspektiven ab. Diese Idee hat eine Chance: Wenn sie nicht das Herkömmliche nur wieder aufwärmt, sondern die entstandenen Netzwerke sowie die neuen technischen Möglichkeiten nutzt.

Die Koalition vergisst auch nicht den Blick darauf zu lenken, das zu erhalten, was heute produziert wird. Sie will nach Wegen suchen, das audiovisuelle Erbe zu sichern. Sicher, nicht alles heute in Sachsen Produzierte ist erhaltenswert und somit zu speichern. Doch einiges schon. Angesichts dessen, dass die Bundesregierung ein entsprechendes Förderprogramm auf NULL setzen will, agiert die Koalition gegen diesen Trend.

Zudem sollen für die Koalition die Medienkompetenz sowie der Ausbau medienpädagogischer Angebote ein Schwerpunkt sein. Dies sind angesichts der Debatte um Filterprogramme sowie "Sendezeitbegrenzungen im Internet" auf Basis von Alter Antworten, die in die richtige Richtung weisen.

Wie es aussieht, wird der technische Jugendschutz nicht funktionieren. Zudem sind die "Sendezeitbegrenzungen" dem Internet wesensfremd. Der Ausbau der Medienpädagogik, eine Vielfalt (handlungsorientierter) Angebote zur Förderung der Medienkompetenz weisen in die Zukunft. Aufklärung und Vermittlung von Handlungskompetenz dienen der Demokratie mehr als Sperren, Filter und Verbote.

Die Koalition machte in vielen Bereichen mehr als einen Schritt nach vorn
Eine weite Entwicklungsperspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Förderung der Meinungsvielfalt, Förderung der Produzenten, Nutzung der vorhandenen Potentiale, Sicherung des audiovisuellen Erbes und Qualifizierung der medienpädagogischen Angebote – die Koalition machte in vielen Bereichen mehr als einen Schritt nach vorn.

Eine solch umfangreiche, zukunftszugewandte sowie sich den Realitäten stellende Positionierung hätte man der sächsischen Medienpolitik nach den Koalitionsverträgen der letzten Regierungen, den kleinteiligen medienpolitischen Scharmützeln sowie der landespolitischen Praxis der letzten Jahre gar nicht zugetraut.

Ob diesen Schritten nach vorn demnächst ein Schritt zurück folgt, wird der nächste Haushaltsplan zeigen. Da werden wir sehen, wie diese neue Medienpolitik in Zahlen gegossen wird, ob die bereitgestellten Mittel den im Koalitionsvertrag formulierten Zielen gerecht werden. Oskar Wilde

Hier finden Sie den sächsischen Koalitionsvertrag.

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