Schüren wir Angst?

Negative Nachrichten dominieren die Medienwelt. Nicht, weil alles immer schlimmer wird – so ist es nicht. Sondern weil wir negative Schlagzeilen einfach lieber lesen. Wir haben mit der Linguistin Elisabeth Wehling über Sprache in den Medien und bewusste Berichterstattung gesprochen.

Interview von Lilith Grull

Hinweis: Dieses Interview ist zuerst in FUNKTURM Nr. 11 im Oktober 2019 erschienen.

FUNKTURM: Was hat sich in der politischen Berichterstattung in den letzten Jahren verändert?
Elisabeth Wehling: Das kommt darauf an, ob wir auf die USA oder Deutschland blicken. In den USA gibt es seit Langem einen Grabenkampf zwischen Demokraten und Republikanern. Die Polarisierung hat sich unter Trump verschärft. Negative campaigning gehört zum Tagesgeschäft. Die deutsche Politik ist vielfältiger, Positionen moderater. Eine scharfe Links-Rechts-Polarisierung wie in den USA gibt es nicht. Das hat auch damit zu tun, dass unsere öffentlichen Diskurse immer mehr in Richtung Mitte gingen. Jetzt hat die AfD ein polarisierendes rechtsautoritäres Weltbild in die deutsche Debatte eingebracht. Die Linke formuliert schon lange starke linkspolitische Werte. Die CSU formuliert oft stärker als die CDU ein konservatives Weltbild. Die Grünen gehen schärfer und polarisierender in die Umweltdebatte, als sie es lange taten.

FUNKTURM: Wie wirkte sich die fehlende Differenzierung auf die Berichterstattung aus?
Wehling: Demokratischer Streit ist Streit über Bewertung von Fakten. Parteien diskutieren nicht, wie viele Regulierungen wir faktisch haben. Aber ob Regulierungen generell gut sind, weil sie Umwelt und Menschen schützt, oder schlecht, weil sie Unternehmen einschränkt. Wenn Parteien die ideologische Basis ihrer Programmatik nicht laut und deutlich formulieren, gibt es keine entsprechende Berichterstattung. Denn Medien können nur das berichten, was die Politik ihnen anbietet. Eine eingeschlafene Debatte hat wenig Nachrichtenwert.

FUNKTURM: Welche Rolle spielen negative Schlagzeilen: Kriminalität, Unglücke, Katastrophen?

Wehling: Es gibt einen simplen Grund, warum Menschen, auch Medienschaffende, eine Affinität zu negativen Informationen haben: der Negativity Bias. Negative Informationen sind für das Gehirn relevanter als positive. Das hat auch einen evolutionspsychologischen Grund. Man stelle sich vor, ich gehe in der Steinzeit in der Steppe spazieren. In der Ferne sehe ich einen Fleck, der ein Stein oder ein schlafender Säbelzahntiger sein könnte. Denke ich negativ, weiche ich aus und mein Überleben ist wahrscheinlich. Denke ich positiv, werde ich im Zweifelsfalle gefressen. Evolutionspsychologisch sind negative Informationen wichtiger als positive. Wobei der sogenannte Negativity Bias keine bewusste Entscheidung ist.

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