Hinweis: Dieser Text stammt aus FUNKTURM Nr. 12. Thema der Ausgabe ist Medienqualität. Das Heft ist am 10.12.2019 erschienen und trifft in den nächsten Tagen bei den Abonnenten ein. Hier können Sie Einzelhefte bestellen.
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Werden unsere Medien wirklich immer schlechter? Die Maßstäbe, mit denen Medienqualität heutzutage bewertet wird, sind breit gestreut. Es wird Zeit, das zu ändern und den Qualitätsbegriff endlich fest zu definieren.
Text von Peter Stawowy
Es gibt eine alte Weisheit unter Zeitungsmacherinnen und -machern, die ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann: Fragt man Leserinnen und Leser, was die Redaktion eines Mediums besser machen könnte, kommt gewöhnlich: nichts.
Denn die Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden lieber aus dem Bauch heraus. Oder der Erfahrung nach. Oder auch: auf Basis von Empfehlungen. Sie wissen meist zu wenig über die Branche und haben noch weniger Fantasie, was die Entwicklungspotentziale der von ihnen genutzten publizistischen Medien betrifft.
Aber wissen eigentlich Medienschaffende selbst, was besser wäre? Sollte man nicht meinen, dass jede und jeder immer das Beste gibt? Und wenn dem tatsächlich so wäre: Was sind dann die Gründe und Faktoren dafür, dass so viel über die Medienbranche geschimpft wird?
Journalismus ist sehr fehleranfällig
»Eine Zeitung zu erstellen ist komplexer, als ein Auto zu montieren«, sagte ein Chefredakteur einer großen Tageszeitung schon vor fünf Jahren zu mir in einer Diskussion. Dabei ging es um die Frage, wie lange es noch gedruckte Zeitungen geben könnte. »Ob das Teil wirklich fahren würde?«, war meine schnippische Gegenfrage – ich war in der Rolle des Onliners und so Kritikers in die Radio-Talkshow des MDR geladen. Gut, das war fies; zumal ich genau weiß, wie fehleranfällig die Herstellung von Druckerzeugnissen sein kann (An dieser Stelle ein großes Sorry nochmal für das fehlende Lektorat in FUNKTURM Nr. 11 und den Fehler in der Infografik – Mrd. statt Mio. – oh weia!).
In der Diskussion mit dem Zeitungschef ging es auch um die Frage, warum die verkauften Auflagen der großen Printmedien, die sich selbst Qualitätspresse nennen, eigentlich alle seit Jahren rückläufig sind. Die Entwicklung ist bekannt: Die jungen Leute nutzen das Medium gedruckte Zeitung kaum noch. Das ist natürlich nicht monokausal durch Qualitätsverlust zu erklären, schon klar.
Der Chefredakteur allerdings sah das genau anders herum: »Im Gegenteil«, antwortete er, »die Zeitungen wie auch der Journalismus waren noch nie so gut wie heute!«
Die Qualität der Qualitätspresse
Ob er da recht hat? Auch wenn heutzutage heftig an Personal gespart wird und Lokalredaktionen zusammengelegt werden, stimmt gleichzeitig auch: Allein die Möglichkeiten der Recherche haben sich im Vergleich zu vor 20 Jahren massiv verbessert. Und die journalistische Ausbildung dürfte auch nicht stehen geblieben, sondern sich wohl eher – auch entlang der vielen aufgeflogenen Skandale – weiterentwickelt haben.
Und doch gibt es immer wieder heftige Kritik an Medien – innerhalb der Branche genauso wie von außerhalb. Der Medienwissenschaftler Michael Meyen hat es direkt nach der Bundestagswahl 2017 so formuliert:
Befasse man sich nur mal einen Moment lang mit der Frage, »wie Gesellschaft und Welt heute aussehen durch die Brille des deutschen Journalismus, dann gibt es dafür eigentlich gar keinen passenden Vergleich. Jahrmarkt, Zirkus, Stadion. Alles auf einmal und doch viel mehr. Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Jeder weiß, was die Massenmedien im Sekundentakt liefern. Exklusivnachrichten, Einmaliges, Superlative.«
Meyen formulierte in seinem Blog-Posting mit dem Titel: »Das Fernsehen, die Presse und die AfD«, was auch mancher oder manchem wohlwollenden Branchenangehörigen selbst ganz schön auf den Zeiger geht: Die immer schneller drehende Erregungsspirale der Medien macht auch den wohlwollendsten Nutzerinnen und Nutzern den Umgang mit Medien ganz schön schwer.
Auch für die Frage, ob die Medien heute besser oder schlechter als früher sind, hat Meyen eine Antwort: »Nirgendwo eine Arena (mehr), in der die klügsten Köpfe vor unser aller Augen um Lösungen ringen und so Orientierung bieten, auch für den Gang zur Wahlurne. Der Journalismus hat sich schleichend von seiner Informationsfunktion verabschiedet, und wir haben es nicht gemerkt, weil wir gut unterhalten werden und gebannt auf die nächste Sau warten, die in der Talkshow quiekt.«
Sex, Konflikt, Skandal, Prominenz!
Die Lust der Journalistinnen und Journalisten auf die beste Schlagzeile und den skandalträchtigsten Aufreger als Story hat massive Auswirkungen auf alle mit Medien befassten Bereiche. In Kommunikations-Workshops spitze ich das gewöhnlich auf vier Aspekte zu: Konflikt, Skandal, Prominenz oder Sex. Wer einen oder noch viel besser mehrere dieser sogenannten Nachrichtenfaktoren mit seiner Pressearbeit bedient, hat gute Chancen, es auf die Titelseiten zu schaffen. Dummerweise ist genau das selten das Ziel der Kommunikationsarbeit.
Ein Branchenkenner aus dem Freundeskreis formuliert die Kritik etwas nüchterner: In seinen Augen kommen Medien schon lange nicht mehr ausreichend ihrem wichtigen Auftrag nach, Informationen über Politik zur Willens- und Meinungsbildung sowie (politischer) Bildung zum Verständnis der Welt zu verbreiten. »Viele Nutzerinnen und Nutzer fühlen sich nicht mehr ausreichend bedient«, ist seine These.
Damit meint er auch die Kritik von einem Teil des Publikums, die diese phasenweise mit Pappplakaten auf der Straße artikulierten. »Journalistinnen und Journalisten sollen neutral berichten«, ist eine der Aussagen, die mir auch immer noch und wieder in Diskussion über Medien, bei Workshops und Vorträgen entgegenkommt. Fragt man zurück, was mit »neutral« gemeint sei, kommt man ab irgendwann (abhängig vom Vorwissen der befragten Person) zu dem Begriff Ausgewogenheit. Gemeint ist also, dass ein guter Medienbericht möglichst alle Seiten und Argumente berücksichtigen und keine unterschwellige oder platte Wertung oder gar Propaganda enthalten soll.
Ist die Erde eine Scheibe?
Oft frage ich dann: »Bedeutet Ausgewogenheit für Sie auch, dass man bei Berichten über die Erde schreibt: ‚Ja, da gibt es ja die eine Seite, die sagt, die Erde sei eine Kugel. Und die andere Seite besteht darauf, die Erde sei eine Scheibe…« Oder geht das schon zu weit mit dieser Ausgewogenheit?
Das einfache Beispiel zeigt: Journalistische Neutralität gibt es genauso wenig wie Objektivität, man kann sich ihr höchstens annähern. Denn schon die Auswahl eines Themas ist eine Wertung. Und: Ausgewogenheit hat Grenzen und muss auch Grenzen haben! Eines aber haben die Lügenpresse-Ruferinnen und -Rufer zumindest erreicht: Es war längst überfällig, die unterschwellige Wertung und die unsägliche Vermischung von Kommentar und Bericht deutlich zu reduzieren.
Gleichzeitig ist aber auch festzuhalten: Damit ein Medium qualitativ hochwertig ist, muss eben nicht jeder einzelne Bericht ausgewogen sein; Kommentare und Glossen schon gar nicht. Wichtig ist vielmehr, dass das Medium in der Summe unterschiedliche Perspektiven aufgreift. Und Transparenz auf vielen Ebenen herstellt – etwa bei der Quellenlage und möglichen eigenen Interessen.
Wobei, auch das sei in Zeiten der teils offenen, teils subtilen Angriffe auf die Demokratie gesagt: Es muss nicht zwingend ein Kriterium für schlechte Qualität sein, wenn bestimmte Positionen nicht oder nur wenig zu Wort kommen. Ein Auftrag der Medien ist schließlich auch die Sicherung der Demokratie.
Pressestellen machen den Job lieber selbst
Es ist einige Wochen her, dass das Dortmunder Landgericht urteilte, die Internetseite der Stadtverwaltung Dortmund habe gegen das Grundgesetz verstoßen. Konkret ging es um die Seite dortmund.de aus dem Jahr 2017, geklagt hatte der Verleger der Zeitung Ruhr-Nachrichten. Damals hatte die Stadt noch sehr viel Werbung in dem Angebot, außerdem waren Reporterinnen und Reporter unterwegs, die von großen Veranstaltungen berichteten. Nicht erlaubt, weil presseähnlich, sagten die Richter.
Ein ähnliches Urteil fällte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe im Januar 2019 im Streit zwischen der Südwest Presse und dem Amtsblatt der Stadt Crailsheim. »Das ‚Stadtblatt' der Beklagten geht mit seinen redaktionellen Beiträgen über ein danach zulässiges staatliches Informationshandeln hinaus«, formulierte das BHG in einer Pressemitteilung. »Die Publikation weist nicht nur ein presseähnliches Layout auf, eine Vielzahl von Artikeln überschreitet auch den gemeindlichen Zuständigkeitsbereich, sei es in sachlicher oder in örtlicher Hinsicht«, so die Richter.
Die Beispiele zeigen: Technisch ist es schon längst möglich, dann wird es auch gemacht. Institutionen und Unternehmen werden selbst zu Medienanbietern. Was die Richter in Dortmund und Karlsruhe da unterbunden haben, hilft der Medienbranche nur vorübergehend. Denn in der privaten Wirtschaft ist schon länger üblich, die eignen Inhalte medienähnlich aufzubereiten (unterstützt von einem Heer freier Journalistinnen und Journalisten, die sich damit ein Zubrot verdienen).
Ist das denn aber auch verwunderlich, wenn Zeitungen immer noch zwei Tage brauchen, die verschickte Pressemitteilung wiederzugeben, und im Zweifel noch einen Fehler einbauen?
Die Schweiz misst Medienqualität
Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich bin davon überzeugt, dass auch im Medienbereich gilt: Qualität setzt sich durch. Also sollten wir vielleicht verstärkt darüber reden, was Qualität in den Medien eigentlich bedeutet.
In der Schweiz wird seit zehn Jahren genau das gemessen: Qualität der Medien, jährlich untersucht vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich. Die Ergebnisse werden im Jahrbuch der Medien publiziert. Könnte man das Modell nicht einfach auf Deutschland übertragen?
Die Schweizer untersuchen dabei allerdings nur publizistische Nachrichtenmedien, die mindestens einmal die Woche erscheinen (online: täglich aktualisieren). Eine öffentliche Verbreitung sowie eine gewisse Reichweite sind ebenfalls Voraussetzung, um überhaupt von den Forscherinnen und Forschern erfasst zu werden. Es geht dabei ausschließlich um Nachrichtenmedien mit redaktionellem Anspruch, für die Aktualität ein entscheidender Faktor ist.
Die Methode ist aufwendig: Für die Inhaltsanalyse samt Qualitätsscoring sind 2019 deutlich über 20.000 journalistische Beiträge von 64 Medien (Zeitungen, Radiostationen, Fernsehprogramme und Online-Angebote) ausgewertet worden. Flankiert wird die Studie von Ergebnissen einer Publikumsbefragung und anderen Untersuchungen. So ergibt sich ein gutes Bild, wie es um die Schweizer Medienlandschaft steht.
Qualität in vier Dimensionen
Die Qualität selbst wird in der Inhaltsanalyse in vier Qualitätsdimensionen erfasst: Relevanz, Vielfalt, Einordnungsleistung und Professionalität. Jede Dimension hat Qualitätsindikatoren und Variablen. So wird die Professionalität etwa von den Indikatoren Sachlichkeit, Quellentransparenz und Eigenleistung eingegrenzt.
Für 2019 haben die Forscherinnen und Forscher ermittelt, dass die untersuchten Angebote nur leicht an Qualität verloren haben, wobei nicht alle Qualitätsdimensionen gleichermaßen betroffen sind: »Besonders hinsichtlich der Professionalität kann den Schweizer Informationsmedien ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Grundlegende journalistische Normen, die Bestandteil redaktioneller Leitbilder und der journalistischen Ausbildung sind, werden über den gesamten Untersuchungszeitraum hochgehalten.«
Gleichzeitig haben sich, so die Forscherinnen und Forscher, aber Relevanz und Vielfalt der Themen teilweise signifikant verschlechtert – die Boulevardisierung lässt grüßen. Es ist selbstredend, dass solche Ergebnisse auch Ansporn für die untersuchten Medien sein dürften.
Vorbild und Ansporn
Vieles spricht in meinen Augen dafür, dass so eine Qualitätsmessung auch der deutschen Medienlandschaft gut tun würde. So eine Messung hätte neben der politischen auch eine wirtschaftliche Dimension: Neben den üblichen Branchenwerten Reichweite, Auflage und Quote würde eine weitere Messgröße hinzukommen.
Zwar ist nicht anzunehmen, dass diese unmittelbar und sofort massive Auswirkungen auf die Werbepreise hätte. Es wäre aber wünschenswert, wenn sich auch Werbungstreibende mit dem Thema befassen und sich also ein qualitativ hochwertiges Umfeld suchen würden. In jedem Fall hätten die Werbeverkaufenden ein weiteres Argument für das eigene Medium.
Und auch politisch wäre so eine Untersuchung gleich auf mehreren Ebenen spannend. Denn einmal könnte das Hörensagen innerhalb der Konsumentenschaft, es handle sich bei dem genutzten um ein qualitativ hochwertiges Medium, die Demokratie massiv stärken. Dann wäre die jährliche Bewertung der Qualitätsmedien auch sicherlich innerhalb der Branche ein Ansporn, die eigene Medienarbeit zu verbessern. Und schließlich hätten die Lügenpresse-Ruferinnen und -Rufer, sofern sie sich wirklich auf eine inhaltliche Diskussion einlassen wollen, ein Bewertungsgerüst, das eigene Weltbild zu überprüfen.
Im erst vor wenigen Tagen veröffentlichen sächsischen Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD findet sich die Formulierung: »In einem gemeinsamen Mediendialog werden wir nach Lösungen suchen, wie die Vielfalt und Qualität der Medien erhalten werden kann. Dies soll in einem Medien-Monitoring regelmäßig untersucht werden.« Und auch bei der jüngsten Sitzung des MDR-Rundfunkrates im Dezember 2019 wurde diskutiert, wie eigentlich journalistische Qualität bewertet werde – und ob es nicht sinnvoll wäre, mehr Kriterien als das reine Bauchgefühl zu haben.
Es besteht also Hoffnung, dass sich demnächst in diesem Themenfeld einiges tut. Zu wünschen wäre es.
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