Im Zeitalter der Redundanz

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Eine Kolumne von Stephan Zwerenz.

Es hätte alles so schön sein können. Das Internet als Kosmos einer globalen Informationsbörse, Smartphones, digitale Vernetzung, eine weltumspannende Kommunikation, die die Menschen näher zusammenbringt und einen fruchtbringenden Diskurs über gegenwartsrelevante Themen eröffnet.

Stattdessen ploppen infolge eines realen Ereignisses im Minutentakt hunderte nahezu identischer Meldungen auf, woraufhin sich empörte Bürgerinnen und Bürger am liebsten gegenseitig die Köpfe einschlagen wollen.

Reflexartig und vorhersehbar

Ihre Reaktionen sind meistens reflexartig und vorhersehbar. Bilder der Kanzlerin reichen aus, um das allseits bekannte Rassisten-Tourette auszulösen.

Betroffene User verfallen in ein stakkatoartiges Merkel-muss-weg-Kommentieren, das jegliches Denken überflüssig macht. Wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, dass es gar keinen Grund zur Aufregung gibt, wird man als Merkel-Versteher oder als Opfer der Systemmedien verunglimpft.

Letztlich braucht nur noch Pawlows Glocke zu klingeln, um den Speichelfluss des Hasses auszulösen.

Aber auch bei anderen Usern als jenen, die sich mit Aussagen wie „Nur noch AfD“ selbst stigmatisieren und damit beweisen, dass sie eigentlich gar keine eigene Meinung mehr haben, ist der Verwesungsprozess der Rhetorik zu beobachten, die zu hohlen Floskeln zerfällt.

Argumente und Redewendungen werden endlos wiedergekäut, um als Totschlagargumente oder Meinungsverstärker gebraucht zu werden. Auf diese Weise vermeiden wir ganz sicher, uns mit Problemen ernsthaft auseinanderzusetzen. „Merkste selber, wa?!“ – „Genau mein Humor!“

Black Boxes

Teilweise hat man das Gefühl, dass die Menschen durch das Internet und die sozialen Netzwerke unablässig versuchen, ausschließlich ihre eigene Meinung zu bestätigen. Es geht schon längst nicht mehr darum, neue Perspektiven zu finden, die unser Weltbild erweitern.

Wir sind zu Reiz-Reaktions-Maschinen geworden, zu Black Boxes, wie sie in der längst veralteten Theorie des Behaviorismus vorkommen.

Die Informationen scheinen durch uns durch zu fließen, ohne dass wir wirklich Anteil daran haben. Algorithmen, die uns dann immer wieder dieselben Themen und Sichtweisen vorschlagen, verstärken diesen Effekt der geistigen Verkümmerung.

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Es bleibt gar keine Zeit zur Reflexion, denn schließlich erscheinen schon die nächsten überflüssigen Informationen im News Feed, der einfach nicht enden will und sich doch immer zu wiederholen scheint.

Niklas Luhmann beschreibt dieses Phänomen in einer seiner Vorlesungen zur Systemtheorie so:

„Information ist eine Selektion aus einem Bereich von Möglichkeiten; wird die Selektion wiederholt, enthält sie keine Information mehr. Wenn man immer wieder dasselbe sagt, bleibt der Sinn unverändert, aber die Information verschwindet ganz oder beschränkt sich auf die Tatsache, dass jemand offenbar einen Sinn darin sieht, immerzu dasselbe zu sagen“.

Das war 1991, also kurz nachdem das Internet überhaupt zu kommerziellen Zwecken freigegeben wurde.

Luhmann konnte noch nicht wissen, dass die Redundanz von Informationen bald unseren Lebensalltag bestimmen und Einfluss auf die menschliche Entwicklung nehmen würde.

Gegen Fakten resistent

Die tägliche Erfahrung lehrt uns, dass die meisten Menschen faktenresistent sind. Sie suchen sich ihre Informationen im Netz zusammen und konstruieren sich Gründe, um ihre vorgefertigte Meinung zu begründen. Filterblasen und Echokammern hat es schon immer gegeben, in Zeiten des Internets sind sie aber erstmals wirklich fühlbar geworden und wurden dementsprechend zu Begrifflichkeiten verdichtet.

Doch selbst diese sind in der endlosen Wiederholung zu inhaltslosen Gemeinplätzen verkommen, die darüber hinwegtäuschen sollen, dass die Polarisierung letztlich von den Usern selbst ausgeht.

Die ständige Konfrontation mit Meldungen über das Leid anderer Menschen sorgt leider nicht dafür, dass wir Gefühle der Empathie entwickeln. Vielmehr scheint es, dass wir von der Überfülle an Informationen zunehmend abgestumpft werden.

Es kommt zu einer Entfremdung, zu einer Loslösung von vermittelter Information und wirklichem Ereignis.

Mangel an Fantasie

Vielen Menschen mangelt es zudem an Fantasie. Es scheint ihnen fern zu sein, dass die gelesenen und gesehenen Berichte tatsächlich die Realität widerspiegeln, teilweise verleugnen sie diesen Umstand sogar.

Sich vorzustellen, wie Kinder im Mittelmeer ertrinken oder Autofahrer in ihren Fahrzeugen am anderen Ende der fehlenden Rettungsgasse sterben, ist für viele ein unüberwindbares denkerisches Tabu.

Vielleicht täte es dem Journalismus sogar hin und wieder ganz gut, an geeigneten Stellen vermehrt auf Emotionen zu setzen, um die Inhalte der Berichterstattung greifbarer zu machen. Die Boulevard-Medien haben das schon lange begriffen.

In seiner Zukunftsrede „Wer wir waren“, die Roger Willemsen 2015 kurz vor seinem Tod hielt, heißt es:

„Die Zeit der Realität ist vorbei, die der Realitäten tritt in ihre erste Blütezeit. Die Wirklichkeit des klassischen Realismus aber wurde nicht nur durch Fälschungen und Simulationen ad acta gelegt. Sie starb auch in all jenen Archetypen, die kommende Ereignisse zu Déjà-vus degradieren werden: im Golfkrieg als dem ersten Computerkrieg, im Jugoslawienkrieg als dem letzten handwerklichen Krieg. Alles durchfühlt, alles bebildert und ein für alle Mal in Teilnahmslosigkeit aufgelöst.“

Im Zeitalter der Redundanz, in dem wir von einem Überangebot an Informationen überrollt werden, wird es zunehmend wichtiger, sich mit Emotionalität auseinanderzusetzen. Denn diese ist notwendig, um von der Sinnebene einer Aussage auch auf die real existierende Bedeutungsebene zu gelangen.

Um uns von der Teilnahmslosigkeit loszusagen, müssen wir uns selbst in die kollektive Erzählung einschreiben und uns als Teil der Geschichte wahrnehmen. Erst dann können wir Informationen richtig einordnen und Empathie entwickeln.

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