Warum gibt es eigentlich keine Gesetze gegen Fake-News?

Eine Kolumne von Stephan Zwerenz.

Seit Beginn der Corona-Krise scheint das Thema „Fake-News“ ganz neue Dimensionen angenommen zu haben. Selbst Regierungschefs wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro befeuern Zweifel an den eigenen Wissenschaftlern und verbreiten zum Trotz ihrer Kritiker Verschwörungstheorien, die reale Menschenleben fordern.

Jegliche Fakten ignorierend werden eigene Fehler einfach abgestritten. Anstelle von Zugeständnissen werden alternative Geschichten des Geschehens erzählt. Durch Framing zwingen sie der Realität ihren Deutungsrahmen auf. Gleichzeitig werden natürlich die Anderen als Lügner und Verbreiter von „alternativen Fakten“ dargestellt.

Doch nicht erst seit Corona zeigt sich, dass die Verbreitung von Fake-News oftmals einem politischem Kalkül folgt. Psychologische Mechanismen werden ausgenutzt, um eine Masse von Menschen zum Handeln und Umdenken zu bewegen. Auch wenn viele Taktiken bekannt sind oder nach und nach aufgedeckt werden, stellt sich doch die Frage: Warum werden Fake-News nicht einfach verboten?

Grenzen der Werbung

Wir sind tagtäglich mit Manipulationsstrategien konfrontiert, die wir gar nicht mehr wahrnehmen. Sei es in einfachen Gesprächen, am Smartphone, am Arbeitsplatz oder auf dem Heimweg. Schätzungen zufolge werden wir jeden Tag mit etwa 300 bis 500 Werbebotschaften konfrontiert.

Doch nur etwa drei davon bleiben uns im Gedächtnis. Auch wissen wir aus der Werbepraxis, dass der gezielten Manipulation Grenzen gesetzt sind. Man wird der Masse von Menschen keine Produkte verkaufen können, die sie nicht wollen oder brauchen.

Zudem werden den Werbetreibenden gesetzliche Regeln auferlegt, die im „Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb“ (UWG) festgeschrieben sind. Dazu gehört unter anderem das Verbot von irreführender Werbung, falschen Versprechungen oder ganz einfachen Lügen. Davon abgesehen hat die Praxis gezeigt, dass sich Ehrlichkeit sowieso am besten verkauft.

Grenzenlose Propaganda

Anders verhält es sich bei Fake-News, die vor allem politische, meist aber keine wirtschaftliche Absichten verfolgen. Vielmehr werden Verzerrungen und Lügen von der Meinungsfreiheit gedeckt. Falschaussagen sind bloß unter Eid verboten.

Nur im Einzelfall kann entschieden werden, ob die verbreiteten Unwahrheiten Persönlichkeitsrechte verletzen (etwa bei beleidigenden oder verleumderischen Inhalten) oder den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen (z.B. bei Holocaustleugnung, Aufruf zur Gewalt).

Ein neuer juristischer Ansatz, der bisher noch keine Anwendung fand, ist die Möglichkeit Fake-News als Propaganda einzustufen. Allerdings würde das Gesetz nur greifen, wenn eindeutig nachgewiesen werden kann, welchen Zweck die Verbreitung verfolgt und von welcher Organisation die Inhalte ursprünglich ausgegangen sind. Zudem müsse feststehen, dass die Propaganda gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet ist.

Gezielte Fake-News-Kampagnen funktionieren aber sehr viel subtiler. Auch kann oftmals kein Urheber festgestellt werden oder die Meldungen beziehen sich auf Gerüchte oder auf Tatsachen. Meist werden auch nur kleine Details verändert, um den Eindruck zu erwecken, in den Mainstream-Medien werde diese pikante Einzelheit bewusst unter den Teppich gekehrt. Vor Gericht kann sich immer noch auf unsauberes Arbeiten berufen werden.

Fake-News sind ein Werkzeug psychologischer Kriegsführung

Die Verbreitung von Falschnachrichten hat immer eine manipulative Absicht. Meistens werden dabei politische Ziele verfolgt. Am Beispiel von Cambridge Analytica (CA) wird deutlich, worauf Fake-News eigentlich abzielen.

Der Whistleblower Christopher Wylie (ehemals CA-Mitarbeiter) hatte beim Wahlkampf von Donald Trump 2016 vor allem die Aufgabe, potentielle Wähler von Hillary Clinton von den Wahlurnen fernzuhalten. Es sollte also vordergründig gar nicht für mehr Trump-Wähler gesorgt werden, sondern nur für weniger Clinton-Stimmen.

Geschafft wurde das vor allem durch Mikrotargeting. Auf Grundlage von 87 Millionen detaillierten Persönlichkeitsprofilen wurden Facebook-Nutzern individualisierte Inhalte vorgeschlagen, die sie in ihrer Meinung beeinflussen sollten. Dazu wurden regelrechte Botarmeen eingesetzt, die sich den Reaktionen der User anpassten, um sie gezielt manipulieren zu können. Wylie nennt das CA-System mittlerweile ein „Werkzeug der psychologischen Kriegsführung“.

Der globale Informationskrieg

Nicht nur Donald Trump hatte in seinem Wahlkampf Hilfe von CA. Das System wurde vor allem in Afrika und der Karibik eingesetzt. Und auch in der Medienstrategie Russlands spielen Fake-News-Kampagnen immer wieder eine wichtige Rolle. Vor Kurzem erst wieder in der Corona-Krise.

Seit 2013 zeichnet sich die russische Regierung vor allem durch eine sehr offensive Auslandspropaganda aus. Das staatsnahe Medienunternehmen Rossija Sewodnja betreibt neben dem Fernsehsender Russia Today (RT) auch die Nachrichtenagentur Ruptly und das Nachrichtenportal Sputnik. Das weltumspannende Netz produziert Formate, die sowohl rechte als auch linke Strömungen aufgreifen.

Zwischen Programmen wie „In the Now“, „Der fehlende Part“ oder „Redfish“ liegen politische Welten, die einander entgegenstehen und auf den ersten Blick doch ziemlich harmlos aussehen. So soll es zumindest auch wirken.

Die Absicht dahinter beschreibt Samuel Misteli in der NZZ:

„So konzentrieren sich die russischen Trolls offenbar nicht mehr auf die Herstellung von Fake-News, sondern zusehends darauf, Inhalte von rechts- oder linksextremistischen Seiten möglichst weit zu verbreiten – mit der Absicht, die gesellschaftliche Polarisierung zu verstärken.“

Worauf zielen Fake-News eigentlich ab?

Die Strategien von Rossija Sewodnja und von Cambridge Analytica wollen – so unterschiedlich sie auch sein mögen – dieselbe Wirkung hervorrufen. Es geht darum dem politischen Gegner die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Der Vertrauensverlust führt zu einer gesellschaftspolitischen Orientierungslosigkeit.

An dieser Stelle tritt die eigene Partei in Erscheinung, um sich als Heilsbringer zu inszenieren, welcher die Welt vor den dunklen Mächten des politischen Gegners befreien will. Es bleibt also keine andere Wahl mehr, als sich der Partei anzuschließen.

Es ist eine beliebte Taktik, seinem politischen Feind die eigene Zurechnungsfähigkeit abzusprechen. In der Psychologie spricht man auch von „Gaslighting“. Gerade in Kreisen von Verschwörungstheoretikern hört oder liest man dieses Wort häufig. Sie bezeichnen damit vor allem echte Nachrichten, die aus ihrer Sicht die Menschen für dumm verkaufen wollen.

Das ist wohl einer der absurdesten Tatsachen an der gesamten Debatte. Nämlich dass gerade diejenigen Fake-News aufsitzen, die sich für besonders gut informiert halten. Genau dieses Phänomen wird wiederum von Populisten ausgenutzt. Wenn einmal der Glauben in die Presse geschwunden ist, ist es leicht die eigene Meinung als Wahrheit auszugeben.

Was tun gegen Fake-News?

Sicher ist es für die meisten Verbraucher recht schwierig, Fake-News von echten Nachrichten zu unterscheiden. Schließlich sind die Fälschungen an das Vorbild angelehnt, enthalten oftmals auch einen wahren Kern und unterschieden sich teilweise nur in der verfolgten Absicht des Artikels.

Wo also Grenzen ziehen? In der Absicht, die die Autoren verfolgen? Doch wer soll „Gedankenpolizei“ spielen?

Erschwerend hinzu kommt, dass Fake-News meistens keine singulären Quelle haben, wie Datenjournalist Michael Kreil erklärt. Vielmehr entstehen sie durch die Aktivitäten im Netzwerk. Das Verbreiten von Meldungen geschehe nach einer Art Gruppendynamik, bei der die Aussagen der Vorgänger*innen immer wieder überspitzt und überboten werden. „Man hat den Eindruck, als ob da herumexperimentiert wird, bis das Netzwerk eine Resonanz hervorruft.“

Wenn man gegen Fake-News vorgehen will, ist es also nicht gerade sinnvoll, nur gegen Einzelpersonen vorzugehen. Man muss systematisch Accounts löschen und Gruppenchats, sowie Plattformen verbieten, mit denen die User*innen Echokammern erzeugen.

Facebook und Twitter haben das schon lange erkannt, gehen aber erst jetzt wirklich effizient gegen Gruppen von QAnon-Anhänger*innen oder der Identitären Bewegung vor und löschen deren Accounts. „Deplatforming“ nennt man diese Form der Verbannung aus den Netzwerken.

Im Falle der Identitären Bewegung ließ sogar das OLG Dresden Recht sprechen und legt die Verantwortung nicht bloß in die Macht der Plattformbetreiber.

Twitter führt zudem eine Kennzeichnungspflicht von staatlich kontrollierten Medien ein. Facebooks Messengerdienst WhatsApp arbeitet an einem Tool, das Fake-News erkennen soll. Ähnliche Ansätze werden von anderen Forschungseinrichtungen verfolgt.

Die gesetzliche Verpflichtung zum Löschen von Fake-News wurde von der EU-Kommission vorerst abgelehnt. In der Begründung hieß es, dass die Löschung den „Weg zur Zensur“ ebne. Bei eindeutig illegalen Inhalten sollten stattdessen die Plattformbetreiber dazu verpflichtet werden, selbst zu handeln.

Der Diskurs über Fake-News wird wahrscheinlich noch lange Zeit weitergeführt werden. Erst seit ein paar Monaten aber hat man das Gefühl, dass sich tatsächlich etwas verändert. Sicher hat das auch mit Corona und den anstehenden Wahlen in den USA zu tun.

Schließlich seien dem Whistleblower Christopher Wylie zufolge Facebook und die USA nicht besser vorbereitet als 2016. Die Strukturen und die Gesetzeslage wären wohl immer noch dieselben.

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