Bitte folgen! Sachsens Polizei im Netz

### Dieser Text ist zuerst in FUNKTURM Nr. 3 erschienen. ###

Die sächsische Polizei ringt bei Facebook und Twitter um die öffentliche Ordnung und den richtigen Ton.

Text: Alexander Laboda 

Von diesen Reichweiten träumen Medienmacher. Mehr als 22.000 Menschen folgen der Polizei Sachsen bei Twitter, fast 50.000 Nutzern gefällt ihre Facebook-Seite. Zum Vergleich: Dem Gezwitscher der Online-Redaktion der Sächsischen Zeitung hören lediglich knapp 13.000 Follower zu; der Mitteldeutsche Rundfunk liegt bei Facebook gut 10.000 Abonnenten hinter dem Social-Media-Team der sächsischen Gesetzeshüter.

Dabei ist Reichweite den Beamten gar nicht wichtig. Vielmehr geht es der Polizei auch in den sozialen Netzwerken um die öffentliche Sicherheit und um den reibungslosen Ablauf ihrer Einsätze.

Ortstermin im nördlich gelegenen Leipziger Stadtteil Eutritzsch: In einem zu klein ausgefallenen Zimmer in der Dienststelle der sächsischen Bereitschaftspolizei hat das Social-Media-Team seine Zentrale eingerichtet. Von drei PC-Arbeitsplätzen aus blicken die Kommissare auf einen großen Bildschirm an der Wand, auf dem sie sich mit der Software SocialHub alle Kommentare bei Facebook, Twitter und Youtube zentral anschauen können.

Die Mannschaft ist klein. Nur vier Beamte, ausschließlich Männer im Alter zwischen 28 und 42 Jahren, posten und tweeten im Namen aller sächsischen Ordnungshüter. Dies tun sie praktisch 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. Denn wichtigstes Anliegen der Truppe ist, die Bevölkerung im Krisenfall zu informieren – und der kann bekanntlich jederzeit eintreten.

Wichtigstes Anliegen der Truppe ist, die Bevölkerung im Krisenfall zu informieren.

Diese Erfahrung haben die Beamten erst wenige Tage zuvor machen müssen, als mit dem Syrer Jaber al-Bakr ein mutmaßlicher IS-Terrorist festgenommen werden sollte und dann quer durch den Freistaat flüchtete. "Unser Hauptziel ist die Informationssteuerung, wie bei einer Lage in Chemnitz", sagt Florian Schönthal, der im Jahr 2014 Sachsens erster Social-Media-Polizist war und heute noch zum Team gehört.

Das Bombenattentat auf den Boston-Marathon im Jahr 2013 sei der entscheidende Impuls zur Einrichtung der Abteilung gewesen. Weil die Bostoner Polizei über Twitter und Facebook Falschmeldungen korrigierte, die Bevölkerung in die Suche nach den Tätern involvierte und so die Lage beruhigte, gilt der Tag des Anschlags als Meilenstein der Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken.

"Falschmeldungen entkräften, Warnungen aussprechen, Transparenz herstellen und Vertrauen gewinnen", zählt Schönthal die konkreten Absichten auf. "Wir machen eigentlich fast nur Krisenkommunikation", ergänzt Teamleiter Olaf Hoppe, der wie seine Kollegen im Dienst stets Uniform trägt.

Der dazugehörige Tweet war Aufmacher in der Nachrichtensendung "heute+" und wurde von der "Heute-Show" persifliert.

War das Bostoner Attentat eine Zäsur auf internationaler Bühne, so könnte der vereitelte Sprengstoffanschlag von Chemnitz ein Wendepunkt der polizeilichen Social-Media-Aktivitäten in Sachsen sein. Dies betrifft allein schon die öffentliche Wahrnehmung. Den Facebook-Beitrag zur Verhaftung von al-Bakr sahen 700.000 Menschen.

Der dazugehörige Tweet mit zwei roten Ausrufezeichen, einem Megafon-Symbol und den Worten "Wir sind geschafft, aber überglücklich" war Aufmacher in der Nachrichtensendung "heute+" und wurde von der "Heute-Show" persifliert. In der Woche der Vorkommnisse in Chemnitz stieg die Zahl der "Gefällt-mir"-Angaben für die "Fan-Seite" der Polizei Sachsen bei Facebook um 3.600 Prozent.

Bedeutsamer dürfte aber die Anerkennung in den eigenen Reihen und bei Beobachtern aus der Medienszene sein. "Qualität und Quantität der Beiträge haben mich überrascht, weil ich es so von der Pressearbeit der Polizei in Sachsen nicht gewohnt bin", sagt Swen Uhlig, Lokalchef der Freien Presse in Chemnitz.

Während sich die Lage am Wochenende in Chemnitz fortlaufend änderte, seien die Veröffentlichungen der Polizei bei Facebook und Twitter – neben den Rechercheergebnissen der eigenen Reporter vor Ort – die einzigen verlässlichen Informationen gewesen.

Nicht nur deshalb übt Uhlig an der Arbeit des SocialMedia-Teams kaum Kritik: "Als Journalist sehe ich darin ein positives Zeichen, wenn die Polizei diese Werkzeuge nutzt".

Eine Konkurrenz zwischen Polizisten und Redakteuren um die Aufmerksamkeit der Leser sieht Uhlig nicht. Die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei ersetze keine Journalisten: "Zu unserer Arbeit gehört die tiefere Recherche. Wir stellen dar, was dahintersteckt, was die Vorgeschichte ist, ordnen ein und bewerten." Klar sei aber auch, dass die Polizei mit ihrer Kommunikation immer auch eigene Zwecke verfolge.

Die Kommissare hatten sich über Falschmeldungen und Hasskommentare geärgert, die nach ihrer Ansicht die wesentlichen Informationen verdrängten.

Eben dies warf den Polizisten mitten im Einsatz rund um Chemnitz Julian Reichelt, Chefredakteur von Bild.de, vor. Anlass war folgender Tweet der Beamten: "An alle Kleingeister, welche Ressentiments und Sinnlos-Meldungen verbreiten. Es ist einfach nur respektlos gegenüber der Lage in Chemnitz". Die Kommissare hatten sich über Falschmeldungen und Hasskommentare geärgert, die nach ihrer Ansicht die wesentlichen Informationen verdrängten.

Reichelt warf dem Team vor, sich "billigen Social-Media-Applaus" abholen zu wollen. Die Polizei solle sich nicht um Meinungen und Ansichten kümmern, "auch nicht um ekelhafte". Angesichts des oben beschriebenen Tweets zur Verhaftung von al-Bakr sprach Reichelt später noch von »euphorischer Kreißsaal-Rhetorik".

Die Diskussion zeigt ein Problem polizeilicher Social-Media-Arbeit: Den Beamten fällt es schwer, den richtigen Ton zu finden. Sie schwanken zwischen unverständlichem Berufsjargon, etwa als sie zu Beginn des Chemnitz-Einsatzes von einer "stationären Bedrohungslage" schrieben, und der saloppen, emotionalen und mit Emojis gespickten Social-Media-Sprache.

Dieses Problem räumen die Beamten ein. "Wir müssen aufpassen mit unseren Worten. Hätten wir direkt von Terror gesprochen, hätten wir mehr Aufmerksamkeit gehabt. Wir wollen aber niemanden verunsichern", erklärt Florian Schönthal.

Über Formulierungen entscheide im Zweifel der Einsatzleiter.

Oberstes Gebot sei, gesicherte Informationen zu verbreiten – so wie es die Kollegen beim Amoklauf in München im Juli vorgemacht haben. Während eines Einsatzes sei das Team vom Informationsfluss in der eigenen Behörde abhängig. Zudem gäbe es polizeitaktische Überlegungen.

Über Formulierungen entscheide im Zweifel der Einsatzleiter. "Ich persönlich würde öfter gerne mehr Informationen rausgeben", sagt Teamleiter Hoppe. Er hat auch den erleichterten Tweet zur Verhaftung von al-Bakr gesendet. "Das würde ich heute so nicht noch einmal machen", gibt Hoppe zu.

Man müsse aber die Umstände berücksichtigen. Seine Kollegen und er seien im Dauereinsatz gewesen, arbeiteten täglich bis zu 1.000 Kommentare ab. Als es vorbei war, habe er sich tatsächlich geschafft und erleichtert gefühlt.

Die Belastung, vor allem die psychische, sei bei der Arbeit generell hoch. Zwar gäbe es viele lobende Worte von Bürgern, aber eben auch Hass, Verschwörungstheorien und anderen Blödsinn. "Wenn du hundert Mal am Tag hörst, dass du scheiße bist, dann hat das eine Wirkung.

"Der Staat muss sein Gewaltmonopol auch im Internet durchsetzen."

Die Kommentare nimmst du mit nach Hause", beschreibt Hoppe die Bürde des Jobs. Dennoch ist er überzeugt, dass die Arbeit wichtig ist. Ginge es nach Hoppe, würden sich Behörden grundsätzlich stärker in sozialen Netzwerken engagieren: "Zumindest jede Bundesbehörde sollte präsent sein."

Von einer umfassenden Präsenz sind die sächsischen Behörden weit entfernt. Bei Facebook finden sich einzelne Ministerien, teils mit personalisierten Profilen, aber nur sehr wenige nachgeordnete Behörden.

Was die Polizeien deutschlandweit angeht, gibt es ebenso Aufholbedarf. Laut Zählung des Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger von der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg betreiben 90 deutsche Polizei-Institutionen Social-Media-Profile, 2012 waren es noch 19. Inzwischen seien alle Länder- und Bundespolizeien vertreten.

Für den Experten kann dies angesichts von immer mehr Straftaten im Internet nur ein Anfang sein: "Der Staat muss sein Gewaltmonopol auch im Internet durchsetzen", sagt Rüdiger. Dies könne nur gelingen, wenn die Polizei in Netz sichtbar und ansprechbar sei. In Zukunft müssten Polizisten als Individuen in sozialen Medien unterwegs sein – ähnlich Streifenpolizisten auf der Straße.

"Bürgerpolizisten könnten zum Beispiel auch über persönliche Social-Media-Profile ansprechbar sein".

Einen ersten Schritt zu dieser Vision hat die Polizei des Landes Niedersachsen jüngst beschritten. Hier twittert seit Anfang Oktober 2016 der Leiter der Polizeiinspektion Leer persönlich.

Für die sächsischen Social-Media-Beamten ist das vorstellbar. "Die Bürger haben Anliegen, wegen denen sie nicht gleich 110 wählen oder aufs Revier kommen. Bürgerpolizisten könnten zum Beispiel auch über persönliche Social-Media-Profile ansprechbar sein", findet Florian Schönthal.

In Deutschland sei dies aber noch ferne Zukunft. Das Team selbst denkt momentan über einen Instagram-Account nach – und wünscht sich personelle Verstärkung, vorzugsweise weibliche.

Dieser Text stammt aus FUNKTURM Nr. 3, das Medienmagazin für Sachsen. Das Heft umfasst 120 Seiten uns ist am 29.11.2016 erschienen. Weitere Themen sind:

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