Die Piratenpartei hatte einen Traum: Mit ihrem Konzept der Liquid Democracy wollten sie die Politik wieder näher an die Bürgerinnen und Bürger bringen und die Digitalisierung der Demokratie voranbringen.
In der digitalen Demokratie könnten Stimmberechtigte beispielsweise permanent zu allen Themen ihr Votum abgeben. Abgeordnete könnten dann ihre Stimme an Vertraute abtreten, die bei diesen Themen eine bessere Expertise haben. Die Verantwortung "fließt" also zwischen Personen hin und her.
"Es muss der politische Wille da sein"
Die Piratenpartei hatte noch eine Reihe weiterer Konzepte, das Netz zu nutzen, um Politik greifbarer, vor allem aber "digitaler" zu machen. Allerdings ist das Phänomen "Piratenpartei" nach einem kurzen Hype inzwischen wieder ziemlich in der Versenkung verschwunden.
"Es muss der politische Wille da sein.Den kann man im Augenblick nicht erkennen", sagt der ehemaligen Piraten-Vorsitzenden Bernd Schlömer im aktuellen FUNKTURM im Interview. Einen kurzen Auszug lesen Sie hier:
FUNKTURM: Liquid Democracy, als das große Projekt der Piraten, wollte die Demokratie in die Digitalisierung führen. Das Projekt ist gescheitert, oder?
Schlömer: Das würde ich so nicht sagen. Ich war in der letzten Woche noch in Thailand und habe das Modell von Liquid Feedback vor jungen Parteien, NGOs und Wissenschaftlern vorgestellt. Wir haben damals versucht, die Vorteile der plebiszitären Demokratie mit den Vorteilen der repräsentativen Demokratie positiv zu verknüpfen, unter Zuhilfenahme von digitalen Instrumenten. Social Media haben diesen Prozess unterstützt. Das ist, glaube ich, weltweit das erste und weitreichendste, digital-empirische Experiment gewesen, wie man Willensbildung in der Digitalisierung umsetzen kann. Und es war erfolgreich.
Trotzdem hat sich Liquid Democracy nicht durchgesetzt. Warum nicht?
Richtig. Ich glaube, es ist in der Anwendung für die Menschen zu kompliziert. Hier ist noch Entwicklungsarbeit zu leisten. Letztlich vertrauen die Menschen dann doch auf die repräsentative Funktion der Parlamente. Zeitgleich gibt es auch wirkungsvolle Bürger- und Volksentscheide. Bürgerbeteiligung ist auch stärker etabliert als vor 10 Jahren. Das mögen Gründe sein. Vielleicht ist Liquid Feedback auch zu sehr verbunden mit der Piratenpartei, die in Gänze als gescheitert gilt in Deutschland.
In Ostdeutschland hört man derzeit oft, wir bräuchten viel mehr Bürgerbeteiligung. Die Digitalisierung bietet da eine Möglichkeit. Was müsste passieren, damit sich das durchsetzt?
Es muss der politische Wille da sein. Den kann man im Augenblick nicht erkennen. Wenn Sie nach Asien schauen: Dort habe ich etwa für die kommunale Ebene Beteiligungstools gesehen, da kann man sich mit einer App einfach an Prozessen der Verwaltung beteiligen. Wie soll der Park geschaltet werden? Da werden kleine Umfragen platziert. Wir haben an vielerlei Stellen in anderen Ländern Möglichkeiten, dass man über das Internet Bürgerbeteiligung auch realisiert. In Deutschland gibt es da noch viel Potenzial nach oben.
Haben Sie eine Vision, wie die Demokratie dank Internet und solcher Beteiligungsformate in zehn oder 20 Jahren aussehen könnte?
Vision klingt etwas zu erhaben. Aber ich würde mir wünschen, dass wir in zehn Jahren die Möglichkeit haben, über einfache, bürgerfreundliche Apps Meinungsumfragen einzuholen und praxisnahe Ideen zu generieren, die dann für die politische Debatte genutzt werden können. Das wäre ein Modell, was ich vorschlagen würde, ohne auf die Parlamente und die Politiker, die Repräsentanten zu verzichten.
Das komplette Interview gibt's im aktuellen FUNKTURM Nr. 9, den Sie hier bestellen können.
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