Personalisierung: Personenkult im Wahlkampf

Lindner lasziv im Unterhemd oder Kretschmann verträumt in seiner Werkstatt. Weil die Parteien an Bindung verlieren, treten sie in Wahlkämpfen in den Hintergrund. Alles ist auf Personen und ihre romantisierten Geschichten zugeschnitten.

Text: Stefan Winterbauer

Hinweis: Dieser Text ist zuerst in FUNKTURM Nr. 10 im Juni 2019 erschienen.

Wenn es um Wahlkämpfe geht, blicken wir von Deutschland aus oft mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu in die USA. Dort – so scheint es – hat der politische Wettstreit eine ganz andere Qualität, im Guten wie im Schlechten. Die legendäre „Yes we can“-Kampagne, die Barack Obama 2009 ins Weiße Haus brachte, gilt als extrem gelungenes Beispiel für Personalisierung und den erstmaligen Einsatz von Social Media in großem Stil.

Umgekehrt kann das radikale Zuschneiden der Kampagne auf die Kandidatinnen und Kandidaten auch Auswüchse hervorbringen: wie die Kampagne von Donald Trump 2016, die Maßstäbe in Sachen Negative Campaigning setzte.

Kandidatinnen und Kandidaten im Vordergrund

Auch hierzulande wird in politischen Kampagnen immer stärker personalisiert: FDP-Chef Christian Lindner im Unterhemd, der Grüne Winfried Kretschmann bei Holzarbeiten in seiner Werkstatt, der glücklose SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und sein Würselen. Die Parteien treten weiter in den Hintergrund.

Die Bindung zu Parteien und die Zugehörigkeit zu definierten gesellschaftlichen Milieus nimmt stetig ab, die Neigung zum Wechselwählen dagegen zu. Ergo werden politische Kampagnen immer radikaler auf die Kandidatinnen und Kandidaten zugeschnitten.

Wählerinnen und Wähler, die – vielleicht auch mit geballter Faust in der Tasche – stets ihr Kreuzchen bei „der CDU“ oder „der SPD“, machen, werden weniger. Die Überzeugungskraft muss aus den Kandidatinnen und Kandidaten heraus kommen, die – wenn es gut läuft – möglichst deckungsgleich mit der programmatischen Ausrichtung ihrer Partei sind.

Dabei ist das Thema Personalisierung in Wahlkämpfen an sich ein alter Hut. „Ich weiß gar nicht, wann Wahlkämpfe nicht personalisiert gewesen wären“, meint Frank Stauss von der Agentur Richel, Stauss. Er ist einer der erfahrensten und profiliertesten Wahlkampfberater und -manager der Republik.

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