Journalismus-Förderung: Die Ausgangsthesen sind falsch

Die Diskussion um Journalismus-Förderung in Deutschland basiert auf falschen Annahmen. Wir haben viel mehr Informationen als wir brauchen.

Ein Meinungsbeitrag von Peter Stawowy

Auf spiegel.de ist am 15.11.2023 ein bemerkenswerter Gastbeitrag von Sebastian Turner über die staatliche Förderung von Journalismus erschienen. Titel: "Wie Hunderte neue Lokalmedien in Deutschland entstehen könnten".

Turner schreibt über die viel diskutierte Zusteller- und Presseförderung der Bundesregierung und über journalistische Neugründungen im lokalen Bereich. Er geht in seinem Text auch auf die Ideen von Sebastian Esser ein, der in seinem Newsletter schon am 12.10.2023 über "Tausend neue Lokalzeitungen" geschrieben hat. Esser hatte darin verschiedene Optionen skizziert, wie er eine Förderung von Lokaljournalismus angehen würde.

Turner schreibt auf spiegel.de:

"Blickt man auf die wenigen Medien-Erfolgsbeispiele, trifft man an der Spitze erstaunlich oft Journalisten, die ihr Unternehmertalent entdeckt haben. Genau darauf sollte eine staatliche Initiative für mehr lokale Medienvielfalt setzen."

Und:

"Ein Baustein für die Förderung solcher Versuche wären Gründerstipendien und -zuschüsse oder Kreditbürgschaften für Lokalmediengründungen, gern auch für Genossenschaften. Wichtig wäre, dass sie einmalig sind, sodass die neuen Lokalmedien nicht auf einen Nachschlag zielen. Weil die neuen lokalen Angebote digital sind, also elektronisch, und damit die enge Definition von Pressemedien hinter sich lassen, könnten auch die Landesmedienanstalten ihre Mittel einsetzen."

Beide Texte richten sich also deutlich gegen die Zusteller- oder auch Presse-Förderung, die die Bundesregierung seit 2019 auf Druck der Zeitungsverleger überlegt und prüft.

Netzpolitik.org hat zu diesem "Projekt" der Bundesregierung am 16.11.2023 ein sehr lesenswertes Stück veröffentlicht, das auch viel über den Einfluss der Medienbranche auf den Gesetzgeber aufzeigt: "Gescheiterte PresseförderungChronologie einer Geisterfahrt" (Parallelen zu Sachsen sind zufällig!).

Nur: Ich halte sowohl die Presseförderung für die Zeitungsverlage als auch die Vorschläge von Turner und Esser für völlig falsche Ansätze. Gleiches gilt im übrigen auch für die Inhalte-Förderung des Freistaat Sachsen, die den Schwerpunkt auf die Mediengattung Lokalfernsehen legt.

Denn: Die Ausgangsthese ist falsch. Wir haben nicht zu wenige Informations-Angebote im lokalen Bereich. Wir haben zu wenig Journalismus, der sich kritisch und distanziert mit staatlichem und institutionellem Handeln auseinandersetzt.

Warum sollen Medien gerettet werden?

Hintergrund für die ganze Diskussion über die Branche ist die Frage, was passiert, wenn es keine lokalen Medien mehr gibt. Bekanntlich sind die Lokalzeitungen, die in der Kommunikationswissenschaft immer noch als das Herz der lokalen Berichterstattung gelten (weil sich alle anderen an ihnen orientieren), massiv auf dem Rückzug.

Wie man so hört, ist der Druck gewaltig – die sinkende Zahl der lukrativen Print-Abos wird nicht im Ansatz durch nachwachsende Online-Abonnentinnen und -Abonnenten ausgeglichen (Esser hat das in seinem "Tausend neue Lokalzeitungen"-Beitrag sehr schön zusammengefasst).

Man könnte auch sagen: Die vor 10 oder 15 Jahren diskutierte Prognose, dass die Zeitung verschwindet, tritt jetzt zunehmend ein (lesenswert dazu auch dieses Stück aus dem Journalist: "Abschied von Print auf die harte Tour", 7.11.2023).

Es gibt dazu beispielhafte Untersuchungen aus den USA über sogenannte "Nachrichtenwüsten" - also Regionen, in denen es keine lokale Medien mehr gibt (mehr zu dem Thema z.B. im FLURFUNK vom 9.2.2023: "Videohinweis: Nachrichten nur für Reiche und Kaufwillige?").

Diese Untersuchungen zeigen erhebliche negativen Folgen des lokalen Zeitungssterbens für lokale Gemeinschaften auf: Wahlbeteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement fallen geringer aus, epidemische Krankheiten lassen sich schwerer eindämmen und Unsicherheit und Polarisierung nehmen zu (vgl. dazu z.B. Thueringer-Allgemeine.de vom 1.8.2023: „In den USA können wir sehen, was uns bevorsteht“).

Die deutsche Politik glaubt nun, dass, wenn die klassischen lokalen Medien verschwinden würden, die Leute den Kontakt und den Anschluss zur Demokratie verlieren. Einfach, weil sie keine Informationen mehr aufbereitet bekommen. Was sie dabei verdrängt: Die deutsche Medienlandschaft unterscheidet sich deutlich von der in den USA, wo es nur wenige überregionale Zeitungen und nur einen sehr schwachen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt.

Den Kontakt und Anschluss zur Demokratie verlieren... klingelt da bei dem einen oder anderen Politik-Wissenden aus Sachsen was? Wenn man es böse formulieren will, würde man sagen, das geht auch, wenn es noch ausreichend lokale Medien gibt (dazu braucht man sich nur mal mit bürgerschaftlichen Initiativen unterhalten, die sich für die Demokratie einsetzen).

Aber okay, wir müssen den Effekt ja nicht noch verstärken oder wachsen lassen, schon klar.

Aber im Ernst: Was bei all den Diskussionen über staatliche Förderung von Journalismus fehlt, ist die Überlegung, was wir da genau eigentlich retten wollen.

Ich stelle die These auf:

Wir haben nicht zu wenig, wir haben zu viele Informationen

Man muss sich die Zahl mal auf der Zunge zergehen lassen: "Fast zwei Drittel der erwachsenen Internetnutzenden in Deutschland geben an, Nachrichten gelegentlich zu meiden. Das steht im aktuellen Reuters Institute Digital News Report", berichtete Deutschlandfunk im Juni 2023 unter dem Titel: "Nachrichtenmüdigkeit: Keine Lust mehr auf Katastrophen".

Selbst Journalistinnen und Journalisten, die die Nachrichten aufbereiten, ertragen die Informationsflut nicht mehr (vgl. FLURFUNK vom 29.7.2022: "News Avoidance: Wenn Nachrichten schlechte Laune machen").

Warum aber will die Politik weiterhin etwas fördern, von dem sich immer mehr Menschen abwenden?

Glaubt wirklich jemand in den Ministerien und Parlamenten, dass die Lust der Leute auf Informationen über Politik und politische Teilhabe durch Medien wieder geweckt oder aufrechterhalten werden können? Und das, obwohl sich die Menschen auch schon vor der staatlichen, finanziellen Unterstützung immer seltner damit befasst oder sogar komplett von den Medien abgewendet haben?

Was die Politik zu wenig auf den Schirm hat:

Ist die Vielfalt vielleicht viel größer als gedacht?

Im Team mit Prof. Dr. Lutz Hagen vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden und Dr. Jens Woelke vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster habe ich in den vergangenen Monaten an einem "Forschungsgutachten zu Angebot, Vielfalt und Perspektiven lokaler und regionaler Medien in Thüringen" gearbeitet. Auftraggeber ist die Thüringer Landesmedienanstalt (TLM).

Mein Teil in dem Projekt: in jeweils drei Landkreisen und Städten Thüringens alle verfügbaren Nachrichtenkanäle zu recherchieren, die im zweiten Schritt durch eine Inhaltsanalyse ausgewertet werden.

"Ach, die paar Medien zu finden, das wird schnell gehen", war mein Gedanke im Januar 2023. Pustekuchen!

(Transparenzhinweis: An dieser Stelle habe ich einige Absätze entfernt, die Studienergebnisse vorweg genommen haben könnten. 20.11.2023, owy) 

Förderung verzögert nur das Sterben einer Branche

Auch wenn das jetzt für die Beteiligten hart ist, bleibe ich dabei: Die Vorstellung, die lokale Medienlandschaft durch finanzielle Mittel stärken oder "transformieren" zu können, führt meiner Meinung nach nur zur Verlängerung des Sterbeprozesses einer Branche, die immer weniger Nutzerinnen und Nutzer hat.

Der Fehler fängt schon da an, die lokale Berichterstattung losgelöst von der übrigen Medienwelt (national und global) zu betrachten. Ein schönes Beispiel liefert dafür gerade die Dresdner Influencerin Adrienne Koleszar, die weltweit über eine halbe Millionen Fans verfolgen, die aber aktuell bei einer Aufklärungs- und Werbekampagne mit der Ostsächsischen Sparkasse Dresden kooperiert.

Ist das jetzt lokale oder nationale oder internationale Werbung?

Oder, auch spannend: Der Osama-Bin-Laden-Brief, der gerade bei TikTok-Viral gegangen ist und den jungen Menschen (angeblich) den Kopf verdreht (vgl. tagesschau.de vom 18.11.2023). Gut, dass wir starke lokale Medien haben, die den Menschen zumindest theoretisch politische Themen vermitteln (Achtung, Ironie!)!

Für das Publikum ist das nämlich tatsächlich total nachrangig, wenn nicht unwichtig, auf welcher Ebene die Informationen spielen.

Da gilt immer noch das alte Prinzip, was mit Aufkommen des Web 2.0 bekannt wurde: Wenn etwas wichtig ist, werde ich es schon erfahren.

Lokaljournalismus funktioniert wirtschaftlich nicht mehr

Ein Grund, warum ich das hier alles aufschreibe: Ich halte auch die Ideen von Esser und Turner für falsch. Denn: Auf Dauer wird es kein Medium im klassischen Sinne geben, das sich wirtschaftlich über Abos oder Werbung trägt.

Da mögen die wenigen journalistischen Neugründungen, die Turner als erfolgreich aufzählt, vielleicht Ausnahmen sein (ich würde da gern mal in die Bücher gucken).

Um das zu verstehen, muss man sich nur mal sein eigenes Verhalten anschauen, wenn man auf eine Bezahlschranke bei einem Nachrichtenangebot stößt. Was genau sollen diese Angebote denn bitte liefern, was ich nicht über kurz oder lang sowieso erfahre (und dann kostenlos)? Wenn ich so ein Projekt unterstütze, dann doch nur aus Good-Will und Sympathie, weil ich aus der Branche komme und meistens die Leute persönlich kenne!

Ich habe im Laufe der Jahre wirklich genug Versuche und Beispiele gesehen, lokale oder regionale Angebote zu etablieren.

Was Sebastian Turner da wortreich vorschlägt, Unternehmergeist und -talent in den Journalistinnen und Journalisten zu wecken: Ich glaube nicht mehr daran, dass Abos oder Werbung im lokalen Bereich genug Einnahmen generieren, um eine Redaktion zu finanzieren.

Am Ende läuft es immer auf Selbstausbeutung hinaus.

Da haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, wie das eigentlich beim Publikum ankommt, dass auf den Seiten der Anbieter: "Gefördert durch..." steht. Oder wie man den Erfolg der Förder-Maßnahmen messen will.

Oder wie wir das alle finden werden, wenn dann mal eines der vielen "Alternativ-Medien" vom rechtsextremen Rand ordentlich Fördermittel beantragt und absahnt. Ich prognostiziere: Das wird kommen!

(Die Finanzierungsmodelle dieser Alternativ-Medien, die ja scheinbar auch ohne staatliche Förderung (also vom deutschen Staat ;-) ) irgendwie funktionieren, sollte man sich im übrigen auch mal genauer anschauen - ein Kollege vertritt ja die These, dass die VG-Wort bei manchem Kanal eine ganz erhebliche Rolle spielt).

Wir brauchen Transparenz und Medienkompetenz

Ich gebe noch eine These mit rein: Es wird in Zukunft keinen wirtschaftlich erfolgreichen Lokaljournalismus mehr geben. Was nicht heißt, dass es dann keine Informationen aus dem lokalen Bereich mehr gibt!

Vielmehr werden sich die Menschen ihre Informationen über das lokale Geschehen selbst zusammensuchen. Und es wird Menschen geben, die diese Informationen offensiv verbreiten – einfach, weil sie es für notwendig halten oder ein persönliches Interesse daran haben.

Der richtige Ansatz wäre also meiner Meinung nach, sich diese sendungsbewussten Menschen einmal näher anzuschauen. Bei vielen Facebook-Gruppen-Betreibern zum Beispiel frage ich mich, ob sie sich ihrer publizistischen Verantwortung bewusst sind.

Ein Ansatz könnte also sein, offensiv Angebote für solche Menschen aufzusetzen, dass diese Verantwortung auch bewusst angenommen wird (also Medienkompetenz vermitteln im Sinne von „Medien machen“).

An dieser Stelle sei daran erinnert, was während des letztens Hochwassers in Sachsen in den sozialen Netzwerken passiert ist: Es gab große Gruppen bei Facebook, die Informationen verbreiteten und Hilfe organisierten, ohne jegliche mediale oder institutionelle Anbindung (vgl. FLURFUNK vom 22.6.2013: "Hochwasser 2013 und die sozialen Medien: Was bleibt?"). Und ohne damit Geld verdienen zu wollen oder müssen!

Inzwischen vermittle ich in jedem Workshop, bei dem es um lokale oder regionale Themen geht, auch Facebook-Gruppen und lokale Multiplikatoren als Informationskanäle auf dem Schirm zu haben und die Betreiberinnen und Betreiber ähnlich wie Journalistinnen und Journalisten zu behandeln.

Was auch eine bedenkenswerte Überlegung sein könnte: Die engen Grenzen für Amtsblätter aufzuheben, was diese publizistisch dürfen.

Sowieso: Insgesamt noch viel mehr Transparenz über Verwaltungshandeln wäre außerdem ein weiterer Schritt. Verpflichtend!

In jedem Fall sollte sich die Politik dringend mit der Frage beschäftigen, was passieren wird, wenn sämtliche Förder-Szenarien nicht die gewünschten Ergebnisse bringen werden.

Erfahren Sie von Aktualisierungen im FLURFUNK-Blog immer zuerst in unserem Telegram-Kanal: t.me/flurfunkdd

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1 Kommentar
  • Heiko Frey
    November 28, 2023

    Lieber Peter,

    vielen Dank für diesen Text und die verschiedenen Denkanstöße. Was mich allerdings wundert, sind die recht übersichtlichen Rückmeldungen/ Kommentare.

    Einen Großteil der verlinkten Artikel kannte ich bereits. Wenn wir speziell über Journalismus im Osten reden, sollte auch diese Studie der Otto Brenner Stiftung Beachtung finden (https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/30-jahre-mediale-spaltung/). Bspw.: Wem gehören die Verlagshäuser, die (noch) lokale Tageszeitungen anbieten bzw. wo ist deren Stammhaus? Wir groß ist der Anteil der Ostdeutschen an den renommierten Journalismus-Schulen?

    Deine Frage nach der Bewertung der Dresdner Influencerin Adrienne Koleszar hattest Du ja eigentlich schon selber beantwortet: Das ist nationale oder internationale Werbung! Hier würde ich keine journalistischen Ambitionen vermuten.

    Ich selber wohne in einer kleinen ehemaligen Kreisstadt. Nach über 3 Jahrzehnte habe ich mein SZ-Printabo gekündigt. Der Preis ausschließlich für die lokalen Informationen ist unangemessen. Für die Weltpolitik bezahle ich gern Spiegel online.

    Qualitativ, sowohl sprachlich als auch inhaltlich, kann man sich sehr oft für die regionalen Artikel schämen. Gymnasiasten hätte man manchen Beitrag um die Ohren gehauen. Außerdem wurden die Texte oft ohne zeitlichen Bezug veröffentlicht, falls eben mal Platz auf der Seite war – viele Artikel konnte man in anderen Lokalteilen oder bei Sächsische.de manchmal wochenlang vorher lesen.
    Nach seinem Ausstieg in den Ruhestand machte der langjährige Lokalredakteur keinen Hehl aus seinem Unverständnis gegenüber vielen ostdeutschen Problemen – er kam kurz nach der Grenzöffnung in die neuen Bundesländer.

    Nun lese ich die SZ online (Abo) und bekomme in jeder Ausgabe großformatige Werbung präsentiert. Zum Glück musste dafür aber kein Baum sterben.

    Übrigens habe ich über viele Jahre lokale Informationen aus meinem Rathaus und aus meiner Stadt verbreitet. Erst per Mailverteiler, später als Blog und parallel dazu auch als Printmedium. „Dippolds Bote“ wurde später das lokale Amtsblatt aus dem Rathaus und ist jetzt eher ein Marketing-Ding der Oberbürgermeisterin. Wichtige lokale Themen werden in den Amtsstuben „verschleiert“, da es kein Informationsfreiheitsgesetz für sächsische Kommunen gibt. Eine Kommunikation mit willigen Bürgern wird nicht geführt, Anfragen und selbst Lösungsvorschläge bleiben unbeantwortet. Ich kann die Zustände in meiner Stadt nicht wirklich als funktionierende Demokratie bezeichnen. Leider setzt sich niemand mit diesen und weiteren Problemen auseinander und somit ist der Wahlerfolg eher rechtsnational handelnder Menschen vorhersehbar.

    Warum ich selber nichts mehr mache? Wenn man von Informationen ausgeschlossen wird, ist der Zeit- und Kraftaufwand für eine ausgewogene Recherche im Ehrenamt nicht leistbar. Die zusätzliche Aufgabe, dann noch mit Abos oder Werbung im lokalen Bereich eine Aufwandsentschädigung zu generieren, … Nein!

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