Funkturm: „Soll jetzt Lutz Bachmann ein Praktikum bei uns machen?“

Warum ausgerechnet Sachsen? Warum Dresden? In Ausgabe 2 unseres Magazins "Funkturm" (erschienen am 3.12.2015, hier gedruckt und hier als App zu kaufen) ist auf den Seiten 32 bis 39 eine Diskussion zu der Frage veröffentlicht, was los ist mit den Menschen im Freistaat. Erschienen ist der Text in der Rubrik Vertrauen (wir hätten sie wohl auch "verlorenes Vertrauen" publizieren können), die sich mit dem Themenkomplex Asyl-Diskussion, Pegida und die Medien (gern zusammengefasst unter dem Stichwort #Lügenpresse) befasst.

Der Text in der gedruckten bzw. unserer App-Ausgabe ist eine gekürzte Fassung. Die Langfassung veröffentlichen wir mit diesem Blogbeitrag.

Diskutiert haben Michael Sagurna, Präsident des Medienrats der Sächsischen Landesanstalt für neue Medien und privaten Rundfunk (SLM), Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüros Sachsen e. V. und Heinrich Löbbers, inzwischen Mitglied der Chefredaktion der "Sächsischen Zeitung". Das Gespräch führten Nicole Kirchner und Peter Stawowy.

„Soll jetzt Lutz Bachmann ein Praktikum bei uns machen?“

Funkturm: Woher kommt die Wut auf die Medien, die sich im Moment überall niederschlägt?

Michael Sagurna: Ich glaube es ist zu einem Großteil auf eine falsche Erwartung an die Medien zurückzuführen. Vor der Wiedervereinigung gab es die Lügenpresse sozusagen amtlich, da war das meiste an den Medien unehrlich. Von den Medien, die dann nach der Wende kamen, haben sich viele Menschen offenbar mehr versprochen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Medien derzeit nicht eher eine Stellvertreterfunktion haben. Sie werden als Verbündete der Politik wahrgenommen. So etwas entsteht zum Beispiel in dem Moment, wenn erstmals eine größere Pegida-Demonstration stattfindet und ein Politiker – ohne irgendetwas Näheres zu wissen – sagt: Das sind Nazis in Nadelstreifen. Sowas ist unverantwortlich. Die Medien übernehmen es und heften damit der Sache ein Etikett an, das sie nicht verdient. Schließlich kommt noch hinzu: Viele Medien schwächeln derzeit wirtschaftlich. Und sind dadurch auch in ihrer Rolle als Aufklärer schwach.

Heinrich Löbbers: Ich sehe es nicht so sehr als Stellvertreter-Funktion. Ich glaube eher, Medien und Politik werden wie eine Art politisch-publizistischer Komplex gesehen. Viele denken: die stecken unter einer Decke, die gehören zusammen. Genauso wie manche das Gefühl haben: die Politik repräsentiert uns nicht, hört uns nicht an oder weiß nicht, was wir wollen. Genau so sehen viele die Medien. Ehrlich gesagt: In gewisser Weise ist da auch was dran.

Sagurna: Ich versuche es in den vielen Diskussion zu dem Thema immer so zu erklären: Die „Wahrheit“ kann gar nicht das Ziel von Journalisten sein. Journalisten können der Wahrheit immer nur nahe kommen und danach streben. Es gibt keine absolute Wahrheit. Die liegt immer im Auge des Betrachters. Journalisten müssen sich aber um Objektivität bemühen. Und das tun die meisten auch.

Löbbers: Ich glaube, es ist zum großen Teil eher auch der Vorwurf, wir würden über bestimmte Dinge nicht berichten und würden die falschen Schwerpunkte setzen oder würden bestimmte Dinge ausblenden. Wir diskutieren darüber in der Redaktion sehr viel. Zum Beispiel, ob wir, was die Flüchtlinge angeht, zu viel über positive Beispiele berichten, etwa über die nette syrische Familie mit dem süßen Kind. Und ob wir auf der anderen Seite die schwierigen Fälle zu wenig beleuchten. Viele Menschen haben offenbar einen ganz anderen Eindruck von der Realität. Die fragen: Warum berichtet ihr nicht über die Drogenszene am Hauptbahnhof, die es ja definitiv gibt? Also dieses Wegblenden bestimmter Sachverhalte durch die Medien – der Vorwurf ist sehr stark.

Grit Hanneforth: Es ist spannend, dass alle das Thema gleich auf Pegida beziehen – die Frage war eher offen gestellt. Aus meiner Perspektive ist die Wut auf die Medien tatsächlich eine Facette einer anderen, nicht bestimmbaren Wut, auf die Gesellschaft, auf bestimmte soziale Fragen, von Menschen, die sich abgehängt oder nicht mitgenommen fühlen.
Es gibt sicher auch viele Leute, die keine Wut auf die Medien haben, aber vielleicht eine kritische Position zur Berichterstattung.
Andererseits… dieser Satz: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, heißt ja eigentlich: „Das wird man ja wohl noch unwidersprochen sagen dürfen!“ Wenn ich diesen Subtext übertrage auf die Wut auf die Medien, dann heißt das: „Ich will meine Position unkritisch in den Medien hören und sehen!“ Diese Positionen wären aber sehr einseitig und damit medial nicht vermittelbar!

"Ich glaube, in dieser Situation können die Medien erst einmal einfach nur durchhalten und versuchen, einen ordentlichen Job zu machen". Michael Sagurna

Funkturm: Sind denn diese Leute überhaupt noch für die Medien erreichbar? Was können die Medien tun?

Sagurna: Die Frage ist, ob das Thema Lügenpresse so hochgekocht ist, dass man die Schreihälse zurzeit gar nicht erreicht. Ich glaube, in dieser Situation können die Medien erst einmal einfach nur durchhalten und versuchen, einen ordentlichen Job zu machen und nach bestem Wissen und Gewissen zu arbeiten. Vielleicht sollten sie sich aber mal differenziert mit diesen ganzen Verschwörungstheorien auseinandersetzen – das ist ja entsetzlich, was einem da so als angeblich wahr entgegengehalten wird.
Vielleicht aber wäre es auch mal nicht schlecht, sich einige Meinungsführer mit gutem Willen heraus zu fischen und diese tatsächlich ein bis zwei Tage in den Alltag einer Redaktion einladen. Dann würden die Flausen von den gesteuerten Medien schnell verfliegen.

Löbbers: Was meinen Sie jetzt mit Meinungsführer? Soll jetzt Lutz Bachmann ein Praktikum bei uns machen?

Sagurna: Nein, das nicht. Bachmann hat vom süßen Gift der Bekanntheit gekostet. Der ist für vernünftige Argumente nicht erreichbar. Aber dass man ein paar von denen mal herauspickt und ihnen den Alltag eines Journalisten zeigt, sie an einer Redaktionskonferenz teilnehmen lässt. Aber mehr kann ich mir gerade nicht vorstellen. Wenn das nicht geht, bin ich der Meinung: Man muss die ganz unangebrachte Wut jetzt erst abkühlen lassen.
Und was man auch berücksichtigen muss: Der Chor scheint gleich, ist aber total divers. Da sind inzwischen Wohlstandsleute aus München dabei, bürgerliche Leute mit Gamsbart und Lodenmantel, die sagen: „Wir fahren mal wieder dahin, das ist geil!“ Das hat längst einen Happening- und Wohlfühl-Charakter für die unterschiedlichsten Leute und Gruppen. Alle sind aus durchaus unterschiedlichen Gründen da und alle fühlen sich total stark.

Hanneforth: Man könnte meinen, Pegida strukturiert für die Teilnehmer die Woche. Das hat einen therapeutischen Ansatz. Da wissen die Pegidateilnehmer, was sie Montagabend machen, da sitzen sie nicht vor dem Fernseher. Das ist auch etwas, was zusammenhält. Und warum ich gerade – Entschuldigung – aufgestöhnt habe, als sie sagten, man müsse mit den Pegida-Leuten reden und diese mit den Medien zusammenbringen: Ich glaube, die Versuche der Kommunikation – ob durch die Landeszentrale für politische Bildung oder durch die Dialogforen der Staatsregierung: Die sind doch allesamt furios gescheitert! Insofern ist da jede Energie, die man da reinsteckt, um an den Haltungen etwas zu ändern, verschenkt. Mich erinnert das ein bisschen daran: Man fokussiert sich wieder auf die, die am lautesten sind. Auf das, was man sieht, was man auf Straße hat, weil man ja nicht wirklich daran vorbei gucken kann.

Löbbers: Da ist ein großer Teil von Menschen dabei, die sind keineswegs Nazis. Die laufen da einfach mit, weil sie sonst nicht wissen, wohin.

Hanneforth: Ich würde lieber mit Menschen arbeiten, die auf der Seite derer unterwegs sind, die sich tagtäglich vor Ort damit auseinandersetzen. Ich meine jetzt nicht nur die Helfer und Helferinnen, sondern die, die sich politisch gegen die rassistische Mobilisierung stellen. Die sollte man mal einladen und fragen: „Wie nehmt ihr denn unsere Presseberichte wahr? Was fehlt euch denn noch, was könnten wir anders machen?“ Das würde ich für durchaus sinnvoll halten. Das sind Menschen, die haben ein Interesse an der Gesellschaftsgestaltung mitzuwirken!

Sagurna: Aber die haben das doch gar nicht nötig.

Löbbers: Die haben doch ein relativ realistisches Bild von den Medien. Auch wenn sie natürlich nicht mit Allem einverstanden sind.

Hanneforth: Es geht doch auch nicht nur um Bekehrung. Es geht doch auch darum, die Engagierten mitzunehmen und zu würdigen!

Funkturm: Ist denn die Wut auf die Medien völlig unberechtigt?

Löbbers: Kritik natürlich nicht, aber diese unbändige Wut. Wir machen ja selbst die Erfahrung, wenn zum Beispiel Kollegen aus anderen Bundesländern oder dem Ausland mit einer vorgefassten Meinung nach Dresden kommen und entsprechend berichten. Aus deren Sicht stellt sich dann manches ganz anders dar als für uns. Neulich sagte mit ein Kollege: „Lutz Bachmann hat doch gesagt, der Maas sei wie Goebbels.“ Das hat Bachmann aber gar nicht. Es war differenzierter.

Sagurna: Er hat genau die Variante gewählt, die damals auch Willy Brandt gewählt hat.

Löbbers: Genau. Er hat den Willy Brandt gemacht, er wollte einfach nur dieses Wort Goebbels In die Welt setzen, genau so wie Pirinçci das Wort KZ mal öffentlich gesagt haben wollte.

Sagurna: Bachmann hat ja auch Druck. Er muss jede Woche wieder was Neues bieten, um die Aufmerksamkeit der Medien hoch zu halten und die Erwartungen der Mitläufer zu erfüllen.

Löbbers: Natürlich gibt es also auch Sachen in den Medien, über die wir uns in der Redaktion ärgern. Der Grundunterschied aber ist: Zweifelt man im Prinzip oder ärgert man sich über einen bestimmten Text oder über einen bestimmten Autor?

Funkturm: Haben die Medien ihre Rolle als Lotse verloren?

Hanneforth: Das können in der aktuellen Situation die Medien gar nicht mehr sein. Das überfordert die jetzt auch.

Löbbers: Waren die Medien denn jemals Lotse?

Sagurna: Nein das waren sie nicht.

Hanneforth: Sie waren es schon. Zumindest haben sie es versucht.

"Ich habe den Eindruck, dass bei Pegida ganz viele aus der naturwissenschaftlichen DDR-Intelligenz dabei sind." Heinrich Löbbers

Funkturm: Wir gehen mal über zum nächsten Punkt: Ist die Wut auf die Presse und diese ganze Pegida-Bewegung ein sächsisches Problem? Liegen diese Einstellungen vielleicht auch einfach in diesem Nichtwissen, wie parlamentarische Demokratie funktioniert?

Sagurna: Nein, ich glaube nicht, dass das ein rein sächsisches Problem ist. Das Nichtwissen gibt es auch in Westdeutschland, und zwar flächendeckend. Wir haben es ja als Westdeutsche, die hier hergekommen sind, nicht mal geschafft, auf die Fragen „Warum sind wir ein föderalistischer Staat?“ und „Warum ist der föderalistische Staat anderen Organisationsformen der Staatlichkeit überlegen?“ eine saubere Antwort zu geben. Oder warum haben wir das Schulsystem in der Länderverantwortung? Es sind viele Dinge nicht erklärt worden. Wir haben das als ganz selbstverständlich hingenommen und nur ein paar Intellektuelle konnten die Strukturen anderen erklären. Also sind die Leute hier ohne Erklärungen geblieben. Die Lehrer, die aus der DDR stammten, konnten das westdeutsche System jedenfalls nicht erklären.

Löbbers: Das Besondere an Sachsen ist, dass der Protest so massiv auf die Straße getragen wird. Es ist offensichtlich, dass das nur in Sachsen funktioniert. Das hat mit ganz vielen Sachen zu tun bis hin zu dem Freundeskreis von Bachmann. Das Grundproblem ist, dass es Leute gibt, die das politische System nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, weil es ihnen zu anstrengend ist.
Da ist für mich aber noch das Stichwort von Tillich, der gern von den Ingenieursgenen der Sachsen spricht. Ich habe den Eindruck, dass bei Pegida ganz viele aus der naturwissenschaftlichen DDR-Intelligenz dabei sind.

Sagurna: … und einer knochenkonservativen Bürgerlichkeit…

Löbbers: Bei dieser naturwissenschaftlich geprägten Herangehensweise fehlt es oft an Empathie und gesellschaftspolitischem Verständnis. Ich habe neulich bei Pegida das Wort „Geschwätz-Wissenschaft“ gelesen, damit sind die Sozialwissenschaften gemeint. Auch bei Diskussionsveranstaltungen, etwa in der Landeszentrale für politische Bildung, ist oft dieser Ingenieurs-Typus vertreten.

Hanneforth: Ob das jetzt ein sächsisches Problem ist, weiß ich nicht. Aber was auffällt ist, dass es an politischer Bildung fehlt. Vielleicht liegt das unter anderem daran, dass Sachsen das einzige Land ohne Bildungsurlaub ist. Bei uns im Kulturbüro Sachsen e.V. kommen viele Anfragen von Gruppen im Bildungsurlaub aus anderen Bundesländern. Die wollen zum Beispiel was wissen zu: „Strukturen der Neonazis. Wie ist das alles einzuschätzen?“ Das andere, was ich in Sachsen hochproblematisch finde, ist, dass politischen Diskussionen in sächsischen Schulen nicht gerne gesehen sind. Das Schulgesetz sagt ja, parteipolitische Diskussionen gehören nicht in die Schulen, das ist auch richtig so. Aber gesellschaftspolitische Diskussionen in Schulen sind wichtig. Wo sollen junge Leute sonst, politisch sozialisiert werden, politische Diskussionskultur lernen, wenn nicht an dem Ort, wo sie den meisten Teil des Tages verbringen? Da sind alle anderen Bundesländer liberaler.

"Na, ich hoffe es sehr stark, dass Sachsen mit dem derzeitigen Image ein Problem hat. Und dass das Land es auch als Herausforderung begreift!" Grit Hanneforth

Funkturm: Hat der Freistaat Sachsen jetzt ein Imageproblem?

Löbbers: Natürlich. Ein Massives. Ich bin über das Wochenende in meiner Heimat gewesen in Westfalen – ich konnte das Thema am Ende nicht mehr hören.

Sagurna: Ja, absolut. Eines unserer Kinder ist derzeit Aupair in Versailles und erzählt, dass die Leute die Nase rümpfen, wenn sie erfahren, dass er aus Dresden ist. Wenn hier in Dresden seit einem Jahr jeden Montagabend Hunderte auf ihre eigene Stadt pinkeln, in ihr eigenes Nest pinkeln, dann stinkt es natürlich auch irgendwann den Leuten in Paris!

Hanneforth: Na, ich hoffe es sehr stark, dass Sachsen mit dem derzeitigen Image ein Problem hat. Und dass das Land es auch als Herausforderung begreift! Dabei ist das alles ja nicht neu: Das heißt jetzt nur Pegida, vorher hieß das: die NPD im Landtag mit Umfeld im Land und Zustimmung in der Bevölkerung. Oder hieß SSS, inklusive Prozesse Ende der 90er. Oder heißt NSU, das sollten wir nicht vergessen! In Sachsen so wie in Thüringen war es in den 90er Jahren möglich, dass sich rechtsterroristische Netzwerke mit Unterstützerstrukturen bilden konnten. Wir haben den Neonaziaufmarsch zum 13. Februar über zehn Jahre anwachsen lassen, das darf man nicht vergessen. Das Thema ist seit 15 Jahren bekannt und der Umgang damit prägt auch das gesellschaftliche Klima in Sachsen. Unsere Kollegen und Kolleginnen, die Mobilen Beratungsteams in den anderen Bundesländern, sagen: „Sag mal, was ist denn bei euch los?“ Das trägt zum Imagebild bei, was jetzt zu Reaktionen führt wie: „Naja, dass es Sachsen ist, wundert mich nicht.“

Löbbers: Da ist aber schon ein Unterschied. Das war in den letzten Jahren alles schlimm. Aber da konntest du ganz klar sagen, das sind Nazis und als es dann 10 Prozent im Landtag waren, war das eben so. Jetzt hast du eine völlig andere Situation.

Hanneforth: Das ist leider nicht richtig. Auch diese Nazis hatten ein Umfeld und Menschen, die diese Haltungen mit getragen haben, ohne direkt dazu zu gehören.

Löbbers: Doch, du gehst zum Bäcker und hörst von der Bäckersfrau diesen Scheiß. Oder beim Automechaniker, oder beim Nachbarschaftsfest. Und auch das hat etwas mit dem Image zu tun. Vorher hieß es: „Ihr habt ja ziemlich viele Nazis bei euch.“ Und jetzt hörst du: „Ihr habt die Nazis und alle Sachsen sind so.“ Das ist ja das Problem.

Sagurna: Ich vermute stark, dass in Sachsen, auch in Dresden, der ausländerfeindliche Bodensatz größer ist als anderswo. Ich habe mir das bis heute nicht so richtig erklären können, aber ich erlebe es in Dresden. Es hat womöglich eine ganz starke spießbürgerliche Seite. Wo Bürgerlichkeit ohne Mut zur Vielfalt und ohne Offenheit zur Welt ist, da droht immer auch die Spießbürgerlichkeit mit ihrer Borniertheit, ihrem Philistertum - und ihrer Feigheit vor der Zukunft.

Hanneforth: Angepasstheit.

Löbbers: Und die Angst vor Veränderung.

Hanneforth: Ja gut, das gibt es in anderen Bundesländern auch. Die haben aber ein stärkeres liberales Bürgertum.

Sagurna: Sie kennen alle Opernarien, also sind extrem bürgerlich, was eigentlich gut ist, aber es gibt eben auch die Schattenseiten.

Hanneforth: Ja, das teile ich.

Funkturm: Wenn ich mir das jetzt anhöre, das klingt mir alles ein bisschen zu einfach, ehrlich gesagt. Wir haben ein Spießbürgertum, wir haben einen relativ braunen Bodensatz. Wenn jetzt jemand von Pegida mit am Tisch sitzen würde, der würde sagen, jetzt wird er wieder als Rechtsextremer hingestellt.

Sagurna: Wird er ja gerade nicht. Wir suchen ja. Wir fragen nach den Gründen. Das ist ja alles multikausal.

Hanneforth: Nein, das sind keine Neonazis. Das sind Menschen mit Vorurteilen und Ressentiments, die sich chauvinistisch, rassistisch und islamfeindlich äußern. Das war schon Ende letzten Jahr unsere erste Einschätzung zu Pegida: Es handelt sich nicht um Nazis, aber die Neonazistrukturen innerhalb von Pegida nutzen diese Plattform, um wieder anschlussfähig zu werden für die gesellschaftlichen Debatten und die, die bei Pegida mitlaufen, schweigen dazu.

Löbbers: Aber Pegida lebt natürlich genau davon, dass sie immer sagen: „Wir werden als Nazis bezeichnet.“ Dieser Opfermythos. Die Hälfte ihrer Veranstaltung am Montag besteht doch daraus, vorzulesen, wer wieder etwas Böses über sie gesagt hat.

Sagurna: Ich würde, soweit das irgendwie vertretbar ist, als Journalist nicht mehr berichten. Aber das ist natürlich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Funkturm: Das ist die nächste Frage: Haben die Medien Pegida erst groß gemacht? Wenn man die ständigen Ticker von Mopo24, diese Skandalisierung durch sämtliche Medien betrachtet – haben die Medien das Ganze nicht erst richtig hochgekocht? Und, provokant gefragt, sind nicht eigentlich die Medien Schuld?

Löbbers (lachend): Die Medien sind immer an allem Schuld, prinzipiell.

Hanneforth: Ich glaube die Schuldfrage bringt uns an der Stelle nicht weiter.

"Die ganze Pegidagruppe versucht immer medial einen draufzulegen, weil sie den Hype der Medien, die Berichterstattung, brauchen. Die brauchen den Skandal." Heinrich Löbbers

Funkturm: Nein, es ging nicht um die Schuldfrage. Aber, Herr Sagurna hatte es gerade gesagt, sollten die Medien nicht besser aufhören zu berichten?

Löbbers: Es gab ja so eine Hängephase bei Pegida, wo wir da 2.000 bis 3.000 Leute hatten und es passierte ja auch nichts. Du hattest jeden Montag das gleiche Ritual, die gleichen Sprüche. Da haben wir protokollarische Berichterstattung gemacht, also eine kurze Meldung: Es waren so und so viele Leute da. Da hat auch keiner einen Ticker gemacht. Das ist erst in den letzten Wochen wieder hoch gekommen. Natürlich, der Bachmann oder die ganze Pegidagruppe versuchen immer medial einen draufzulegen, weil sie den Hype der Medien, die Berichterstattung, brauchen.
Die brauchen den Skandal. Und da muss man entscheiden, schreibst du das hoch oder kannst du das ignorieren. Ich finde, wenn in einer Stadt wie Dresden 10.000 Leute auf den Straßen sind, kann man das als Zeitung vor Ort nicht ignorieren.

Funkturm: Aber die TTIP-Demo in Berlin hatte angeblich zwischen 150.- und 250.000 Teilnehmer.

Löbbers: Aber doch nicht jede Woche. Genau das ist der Unterschied. Es war halt nur ein Mal.

Sagurna: Ich mache mir übrigens – wenn ich das einmal einschieben darf - schon länger Vorwürfe, dass wir 2004, als wir vor der Landtagswahl standen und die NPD zum ersten Mal deutlich über 5% lag in den Umfragen, das Falsche getan haben. Mit anderen zusammen habe ich da alle Zeitungschefredakteure in Unruhe versetzt, dass man da am Samstag in den Titelzeilen noch einmal ein ganz klares Statement abgeben sollte gegen die NPD und für eine hohe Wahlbeteiligung. Ich bin inzwischen überzeugt, dass wir damit zum Erfolg der NPD erst beigetragen haben. Die NPD-Sympathisanten haben das so aufgefasst, dass die NPD jetzt satisfaktionsfähig ist. In jeder Zeitung stand groß auf der Titelseite: „Geht wählen, damit die NPD verhindert wird.“ Damit haben wir – fürchte ich - genau das Gegenteil erreicht.

Hanneforth: Das glaube ich nicht, die NPD wäre auch so in den Landtag gekommen. Sachsen hatte schon vorher ein Stammwählerpotenzial von mehr als 5 Prozent für die NPD und das neonazistische Umfeld.

Funkturm: Aber ist das jetzt nicht die Art Manipulation der Medien durch die Politik, was Sie da gerade geschildert haben, Herr Sagurna? Sie treten aus der Politik heraus an die Chefredakteure heran und sagen, wir müssen vor der NPD warnen. Ist das nicht die Art der Manipulation, die Pegida montags immer zur „Lügenpresse“ hochschraubt? Also sind Politik und Medien so verwoben, dass es nicht mehr legitim ist?

Hanneforth: Nein. Die NPD ist schließlich eine verfassungsfeindliche Partei.

Funkturm: Aber es gibt ja auch Politiker, die versuchen sich in den Medien zu positionieren und entsprechend Deals machen – also mit Informationen regelrecht handeln. Daraus entsteht im Endeffekt ja der Vorwurf, dass alles vorher abgesprochen ist.

Sagurna: Ich war damals nicht mehr Regierungssprecher.

Hanneforth: Nochmal zur NPD: Ohne Einzug in den Landtag wäre die Situation im Land mit einer stark verankerten Neonaziszene und hohen Zustimmungswerten in der Bevölkerung nicht so sichtbar geworden. Alle waren 2004 überrascht, die demokratischen Fraktionen im Landtag haben anderthalb Jahre gebraucht, sich zurecht zu rütteln, wie sie jetzt damit umgehen. Damit hat ein nicht zu unterschätzender Sensibilisierungsprozess zu einer Problemlage eingesetzt, die schon lange da war und ist. Wäre das nicht passiert, wäre dem Land das Problem später auch deutlich auf die Füße gefallen.

Sagurna: Es ist definitiv nicht die Politik, die dafür verantwortlich ist, dass die Nazis ins Parlament kamen.

Hanneforth: Nein, aber sie hat spät reagiert.

Sagurna: Die Politik ist immer mit der Frage beschäftigt, was in der jeweiligen Situation die richtige Reaktion ist. Aus Sicht einer Staatskanzlei beispielsweise ist das vor allem die Frage: Was macht der Ministerpräsident? Wie geht er damit um, wenn Rechtsextreme in Erscheinung treten? Macht er sie stark, wenn er sie sich vornimmt? Soll er sie besser ignorieren? Das ist jeden Tag eine neue Entscheidung.

Löbbers: Die stärkste Szene, die der Ministerpräsident in dieser ganzen Zeit geliefert hat, war eigentlich die Videosequenz, wo er in Heidenau mit Leuten diskutiert, die ihn total angehen und er so richtig wie eine Wand da steht und auf die Leute eingeht. Das kann er glaube ich auch. Sich dahin stellen und mit solchen Leuten umgehen. Vielleicht war die Szene so stark, weil sie nicht beabsichtigt war, sondern sich spontan ergab. Ansonsten muss man sagen: Erst kam die große Rede im Landtag, für die selbst die Opposition Respekt gezollt hat – und seit dem, wo ist er da?

Hanneforth: Das war leider ein sehr langer Lernprozess! Der Satz: „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“, hat dem Land nicht gut getan. Seitdem ist da aber richtig viel passiert mit klaren Positionen zu Asyl in Sachsen. Der Juli war aber, gerade mit Blick auf Pegida, definitiv zu spät.

Sagurna: Ich fand den Satz an dem Tag unpassend. Aber falsch ist er nicht. Man darf das sagen.

Hanneforth: Natürlich darf ein Ministerpräsident das sagen, aber dann muss er sich auch damit auseinandersetzen, dass es bei Pegida als Zustimmung verstanden wird.

Löbbers: Das hat doch nur gezeigt, dass er zu dem Zeitpunkt nicht wirklich eine Strategie hatte.

Sagurna: Ja, aber der Satz hat keine problematischen Folgen gehabt.

Funkturm: Hat die Staatsregierung denn jetzt eine Strategie?

Löbbers: Es hatte zwischenzeitlich den Anschein.

Funkturm: Es gibt einen Haufen Medien gerade im Onlinebereich, die offensichtlich der Demokratie nicht sehr wohl gesonnen sind. Also solche, die diese ganze Thematik noch anheizen. Dazu gibt es noch jede Menge Falschmeldungen im Netz, frei erfunden und in die Welt gesetzt und verbreitet. Wie gehen wir als Gesellschaft, als Demokratie mit so etwas um? Müssen wir das ertragen?

Löbbers: Ja, das müssen wir ertragen. Im Idealfall kann man die Falschmeldungen widerlegen oder zumindest klarstellen, dass es dafür keine Quellen gibt. Da sind wir genau an dem Punkt vom Anfang: Die Leute wissen nicht, wie Politik funktioniert, und sie wissen auch nicht, wie Medien funktionieren. Und sie finden es dann auch nicht schlimm, dass solche Medien keine Quellen haben und das einfach mal verbreiten.

"Aber auf der anderen Seite muss man sagen, wir hatten, seit 89 nie mehr so viele politische Diskussionen, die bis in jede Familien reichen." Grit Hanneforth

Funkturm: Also müssen wir das wirklich ertragen? Das verstärkt doch das Problem noch.

Löbbers: Ja, was sollen wir machen?

Sagurna: Als Journalist würde ich jetzt sagen: Strengen wir uns noch mehr an, unsere Arbeit so sauber und ordentlich wie möglich zu machen, nach allen Regeln des guten Journalismus‘.

Löbbers: Was man dem als normales Medium dagegen setzen kann, ist wirklich solide Arbeit. Also vernünftig recherchierte Geschichten mit Quellen und allem was dazugehört. Das funktioniert im Einzelfall auch nicht immer, weil wir natürlich auch mal handwerkliche Fehler machen. Aber es geht darum zu zeigen, dass das Prinzip ein anderes ist, als wenn irgendjemand etwas ins Netz stellt.

Funkturm: Ziehen wir mal einen Schluss. Machen Sie sich Sorgen, um Sachsen und die Medienlandschaft? Ja oder Nein?

Hanneforth: Das Wort Sorge würde ich hier nicht nutzen wollen. Wir hatten genügend mit vermeintlich „besorgten Bürgern“ zu tun. Was ich eher glaube, ist, dass wir viel zu tun haben in diesem Land. Das wir gucken müssen, wie wir die Leute, die guten Willens und sich an Gesellschaftsgestaltung beteiligen wollen, wie wir die in die Diskussionen um die Zukunft Sachsens einbeziehen können. Und da fehlt mir noch in Sachsen das Vertrauen in die liberale Bürgerschaft, in eine starke Zivilgesellschaft. Da fehlt es mir noch an Fehler- und Kritikfreundlichkeit in Sachsen. Das eröffnet neue Entwicklungschancen. Ich würde den Fokus von Pegida weg - auf die gesellschaftlichen Herausforderungen richten.

Sagurna: Ich würde mir überhaupt keine Sorgen über dieses Phänomen Pegida machen. Ich finde das unangenehm und ätzend und schade für Dresden, aber ich mache mir keine Sorgen. Das sind vorübergehende Erscheinungen, die man aber nicht so einfach für sich weglegen kann, sondern man muss schon ganz genau analysieren, was ist da überhaupt passiert und was hat das zu bedeuten. Aber Sorgen mache ich mir nicht. Das hält die Demokratie aus. Wir wissen ja auch, dass eine deutliche Mehrheit da nicht dafür zu bekommen ist. Um die Medienlandschaft mache ich mir schlimmstenfalls kurzfristig Sorgen.

Löbbers: Also ich mache mir auch keine Sorgen in dem Sinne, dass unser System irgendwie gefährdet sei. Obwohl ich zugeben muss, neulich zum ersten Mal eine Diskussion geführt zu haben, in der es ernsthaft um Putsch ging: Was wäre, wenn die Leute plötzlich aktiv werden? Auf welcher Seite würden Polizei und Bundeswehr stehen? Da habe ich mich gefragt, wo bin ich jetzt gelandet? Ich mache mir Sorgen um das gesellschaftliche Klima im Land. Ich finde, die Atmosphäre ist total vergiftet. Ich kriege immer mehr von Leuten mit – und mir geht es ein bisschen auch so – die sagen, es ist nicht mehr schön hier. Man fühlt sich nicht mehr wirklich wohl. Es liegt ein Grauschleier, über dem Land, den muss man irgendwie wegkriegen. Andererseits glaube ich aber, dass das irgendwann vorübergehen wird. Aber es wird nicht spurlos vorübergehen. Es wird sich etwas ändern in der ganzen Gesellschaft. Möglicherweise auch in der Medienlandschaft.

Sagurna: Übrigens muss die Politik einfach auch erfolgreich sein mit der Integration. Das baut auch Ängste ab, mehr als alles andere. Es gibt ja jetzt schon einige Orte, in denen der massive Widerstand schon deutlich zurückgegangen ist, weil die Leute sehen: Es klappt gut mit den neuen Nachbarn. Meine Angst war unbegründet.

Löbbers: Es gibt ja auch die Erfahrung, wenn die Flüchtlinge erst einmal da sind, dann ist es gar nicht so schlimm wie viele erwartet haben. Aber die großen Probleme werden natürlich erst noch kommen. In der Schule, am Arbeitsmarkt und so weiter.

Hanneforth: Aber auf der anderen Seite muss man sagen, wir hatten, seit 89 nie mehr so viele politische Diskussionen, die bis in jede Familien reichen. Das macht etwas mit der gesamten Gesellschaft. Es ist ja nicht nur in Sachsen so, aber gerade in Sachsen noch durch die Projektionsfläche Pegida besonders deutlich zu sehen. Das Thema Deutschland als Migrationsgesellschaft ist eines, das jetzt sichtbar ist und alle müssen sich dazu verhalten. Das macht was mit den Leuten, mit jedem Einzelnen. Das sieht vielleicht im Moment aus wie eine „Spaltung“ der Gesellschaft, aber dadurch gibt es Auseinandersetzungen, Neupositionierungen und Diskussionen, dass finde ich richtig gut. Wir können nicht auf der einen Seite den Mangel an politischer Bildung beklagen und wenn die Leute dann anfangen sich in politischen Diskussionen verschieden zu positionieren, dann sagen wir: „Oh, jetzt sind wir gespalten!“

Löbbers: Selbst die Leute, die sich jahrelang in der Politik nicht eingemischt haben, sind jetzt plötzlich politisch geworden. Ist doch eigentlich gut so. Genauso ist es auch unter dem journalistischen Gesichtspunkt. Es nervt natürlich, ständig beschimpft zu werden, aber andererseits ist es auch total spannend sich mit dem Ganzen auseinanderzusetzen.

Hanneforth: Und wenn es stimmt, dass die Demokratie von Streit und Diskussionen lebt, dann kriegt sie hier einen richtigen Schub nach vorne.

Löbbers: Also: Dresden zeigt wie es geht.

Sagurna: So geht sächsisch.

Funkturm 2 TitelDieser Text ist zuerst erschienen am 3.12.2015 in "Funkturm - das Medienmagazin für Sachsen", Ausgabe Nr. 2. 

Im Heft finden sich auch weitere Texte, die sich mit der Arbeit als Journalist in Sachsen derzeit und dem Vertrauensverlust in die Medien beschäftigen. Auf insgesamt 108 Seiten blicken wir aber auch noch auf andere Bereiche der sächsischen Medienlandschaft, zeigen Radio-Urgesteine mit ihren Autogrammkarten aus der Anfangszeit, befassen uns mit dem MDR und seinen Tochter-Unternehmen und sprechen mit Medienmachern, die keinen großen Konzern im Nacken habe. 

Funkturm erscheint jährlich. Hier kann das Heft in gedruckter Form und hier als App bezogen werden. 

7 Kommentare
  • Sandra Hofmann
    Februar 6, 2016

    Es sind viele kleine Dinge, die den Begriff "Lügenpresse" hervorgeholt haben.
    1.Die Headlines, die Klicks oder Leser generieren sollen, und wo der Text dann etwas anderes sagt, als die Headline vermuten lies. Bsp, N24 "Gewalt bei Pegida Demo in Dresden". Die Headline suggeriert, das die Gewalt von Pegida ausging, der Text beschreibt aber, Angriffe aus den Reihen der Gegendemonstranten, schwer Verletzten Pegida-Demonstranten, Böllerwürfe gegen Polizei etc.
    2.Die ungeprüfte Abschreiben der DPA Meldungen, Bsp. Petry und der "Schießbefehl". Kaum eine Zeitung hat sich mit den tatsächlichen Äußerungen auseinandergesetzt, mit dem gesamten Interview und erst Recht nicht damit, ob das angesprochene Gesetz den Einsatz von Waffen tatsächlich erlaubt und unter welchen Umständen.
    3.Die fehlende Trennung zwischen Nachricht und Meinung.
    4.Die kleinen Adjektive, die zur Beschreibung von Pegida dienen, zb "islamfeindlich", "fremdenfeindlich" etc. Pegida ist keine homogene Masse von Lemmingen, die hinter Bachmann herlaufen. Viele von uns haben Freunde mit Migrationshintergrund, auch mit islamischem Glauben. Wir sind gegen den radikalen, den politischen Islam. Gegen den, der viele Menschen zur Flucht treibt. Wir haben etwas gegen das vorauseilende Apeasment der Politiker, gegen die Finanzierung von Verbänden aus dem Ausland etc pp. Mehr als einmal wurde auf den Demos gesagt, dass wir nichts gegen hier integrierte Muslime haben, die unsere Gesetze achten und nicht den Koran darüber stellen.
    Wir sind auch nicht "fremdenfeindlich", wir wollen die Ordnung zurück. Wir wollen, dass die Asylgesetze eingehalten werden, das wir wissen, wer in unser Land kommt, woher derjenige kommt und mit welchen Absichten. Wir wollen klare, konsequente Handlungen bzgl krimineller Asylbewerber und Menschen, die kein Recht auf Asyl haben. Und es wurde mehr als einmal gesagt, dass wir Asyl befürworten, aber nicht jeder Asyl berechtigt ist. Wir fordern ein Zuwanderungsgesetz, nach kanadischem Vorbild. Ist das "fremdenfeindlich"?!?
    Das sind nur einige Bsp, die mich dazu verleiten, den zugegebenermaßen pauschalisierten Begriff "Lügenpresse" zu unterschreiben. Eine differenzierte Liste, derer die oben genannten Bsp nutzen, wäre zu lang. Und "getroffene Hunde bellen".

  • Andreas Säger
    Februar 8, 2016

    Willy Brand und Goebbels-Zuschreibung? Hab ich da was verpasst? Ich erinnere mich nur an Kohl und seine Zuschreibung Gorbatschow=Goebbels 1984/85 nach Gs ersten medienwirksamen Auftritten.
    Jedenfalls merkt man ihrem Gespräch an, dass Ihnen der tiefe Einschnitt nicht klar ist, der nach der Wende _auch_im_Westen_ stattgefunden hat. Jeder Ansatz einer pluralistischen Meinungslandschaft ist seither abhanden gekommen. Das politische Meinungsspektrum ist weit nach rechts verschoben. Gewerkschaften spielen die Rolle von Aufsichtsräten, die Jugend ist nur noch in der Minderheit, jeglicher ökonomischer Interessenausgleich ist wirksam unterbunden, Spindoktoren von Geheimdiensten und anderen "Dienstleistern" bestimmen die Themen während die Medienkonzentration heute weitgehend abgeschlossen ist.
    Gleichzeitig werden moralisch unterfütterte Aufregerthemen der politischen Linken zugeschrieben. Letzteres geschiet grade eben _nicht_ in der normalen Presse sondern in Unterhaltungsmedien. Dadurch entsteht bei emotionalen Themenfeldern der Eindruck, dass alles um uns herum links unterwandert (pegidisch: "links versifft") sei. Während die Dummdödelmedien alle Tabus fahren lassen trinken die Pegidisten auch noch von dem Kakao durch den man sie zieht.

  • jj preston
    Februar 8, 2016

    "Medien und Politik werden wie eine Art politisch-publizistischer Komplex gesehen. Viele denken: die stecken unter einer Decke, die gehören zusammen."

    Und das soll ein Wunder sein?
    Deutscher Realjournalismus bedeutet, dass Tilo Jung unter den "Kollegen" in der Bundespressekonferenz als Schmuddelkind angesehen wird, weil er öffentlich provokative oder entlarvende Fragen stellt, von denen die anderen glauben, dass man solche Fragen nicht-öffentlich stellen sollte, damit die Konkurrenz nix mitbekommt und man die eine Frage gestellt hat, auf die die anderen Medien nicht gekommen sind. Die BPK ist also lediglich "Verkündungorgan des ZK der BRD", und was in die Zeitung kommt, wird hinter verschlossenen Türen ausgeklüngelt. Gegebenenfalls auch je nach Verlagshauspräferenz, so dass dem Spiegel dazu was anderes (oder weniger oder mehr) erzählt wird als der ZEIT und der WELT. Wenn Ihr, liebe Journalisten, vermeiden wollt, dass dieser Eindruck entsteht, dann stellt die Nachfragen öffentlich, und wenn es nur wachsweiche Antworten gibt, dann schreibt das auch und nagelt den Seibert und seine Kollegen in Euren Produkten an die Wand! Seibert ist kein Journalist mehr, der ist ein Regierungsorgan. Also behandelt den auch so! Wenn Ihr vermeiden wollt, dass Ihr als schreibende Jubelperser durchgeht, dann fangt an, kritisch zu arbeiten und zu hinterfragen - und vor allem: Gewöhnt Euch Eure eigenen Agendas ab! Das sind Pressekonferenzen und keine Sportpalastreden!

    Wobei wir beim nächsten Thema sind, das den gleichen Eindruck vermittelt: Eure "Connections". Die, die in den Hinterzimmern stattfinden, hinter verschlossenen Türen. Die in den ganzen elitären "Swingerclubs" wie dem GMFUS, der Münchener Sicherheitskonferenz, den Wirtschaftsrunden. Die, von denen Ihr sagt, dass Ihr dort Informationen bekommt, die Ihr woanders nicht bekommt - Informationen, wohlgemerkt, die vorbereitet sind, speziell für Euch. Warum wohl dürft Ihr da rein? Weil die genau wissen, dass Ihr das schreibt, was die wollen - entweder weil sie Euch für blöd genug halten, das alles für wahr zu halten, was die erzählen, oder weil Ihr nachgewiesen habt, dass Ihr auf derselben Seite steht! Die würden niemanden in ihr Umfeld lassen, der für ihre Interessen eine Gefahr sein könnte, die sind doch nicht doof! Wenn Ihr also etwas schreibt, was Ihr aus diesen Zirkeln habt, dann Dinge, die diesen Zirkeln und Partikularinteressen nützt - aber nicht notwendigerweise der Allgemeinheit.

    Und dann wäre da noch ein Grund. Der, warum Ihr Euch in solchen Kreisen überhaupt herumtreibt: Ihr wollt dazugehören! Die Verlagswelt ist nicht nur politisch klar aufgeteilt. Sie behandelt auch die meisten von Euch wie ein Stück Sch..e. Ja, ich meine das Zeilenhonorar. Viele von Euch beklagen sich, das sei zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel - vor allem die Freelancer. Die beste Möglichkeit, als Journalist ein zufriedenstellendes Einkommen zu erzielen, ist immer noch eine etablierte Verlagsposition (die zunehmend seltener wird). Das heißt: Ihr habt im Optimalfall studiert, einen der raren sicheren Jobs, und ihr versucht Euch mit Zirkelmitgliedschaften unentbehrlich zu machen (was selten gelingt). Ihr versucht aufzusteigen. Nur: Durch den Aufstieg (den Ihr durch Studium und elitäre Journalistenschulen ohnehin schon vollzogen habt) geht Ihr Schritt für Schritt von denen weg, für die Ihr Euch zu schreiben selbst vormacht, und hin zu denen, von denen man erwartet, dass sie von Euch kritisch beleuchtet werden. Ihr wollt, um ein Bild von Volker Pispers zu bemühen, unbedingt in dem letzten Waggon des Zuges sitzen, von dem Ihr hofft, dass er an der Kante des Abgrunds hängen bleibt, während die Konsumenten Eurer Arbeit schon unten aufschlagen.

    Und da wundert Ihr Euch, dass die Leute glauben, dass die Politiker und Journalisten da hinten im letzten Waggon einen politisch-publizistischen Komplex bilden?

  • llamaz
    Februar 8, 2016

    Ein Hauptroblem der deutschen Medien ist in meinen Augen ganz simpel: Sie haben ihre Fehlerkorrekturemechanismen nicht aufs Online Zeitalter angepasst sondern korrigieren falsche Online Meldungen wie früher im Print: D.h. entweder überhaupt nicht, oder mit einer neuen Meldung. Kleinere Sachfehler werden zwar hier und da gleich korrigiert, manchmal sogar transpartent darauf hingewiesen, der Regelfall ist das aber nicht. Tatsächlich bleiben selbst kapitale Falschmeldungen einfach online für Jahre auf der Webseite stehen. Im Regelfall ohne Korrektur oder einen Hinweis darauf dass sich die Meldung zwischenzeitlich als falsch erwiesen hat. Zeitungen wurden früher weggeworfen, damit landeten die Falschmeldungen dann im Abfall. Heute gleichen die Internetseiten der Medien einem digitalen Mülleimer, in dem jede noch so dämliche Ente noch nach Jahren zu besichtigen ist. D.h. wer möchte kann jederzeit online den Beweis finden, dass die Medien "Lügen" verbreiten.

    Das alles ist natürlich ein gefundenes Fressen für Anhänger z.B. von Afd oder Pegida bei denen es sowieso eine Tendenz gibt jede Nachricht die nicht ins Weltbild passt als Lüge aufzufassen. Umgekehrt werden Falschmeldungen die ins Weltbild passen gierig aufgenommen und man hat kein Problem diese weiterzuverbreiten. Werden Falschmeldungen dann aber von Medienwebseiten entfernt, dann oft intransparent durch simples löschen ohne jeglichen Hinweistext oder Korrektur. Das ruft dann wiederum den Vorwurf der Zensur hervor. D.h. nicht die Meldung ist falsch, sondern unbequeme Wahrheiten wurden dann vermutlich durch einen "Eingriff von Oben" entfernt. Das dient dann wiederum als Beweis dafür das die Medien kontrolliert werden.

    Fehler werden sich nie vermeiden lassen im Journalismus. Was man aber massiv verbessern muss ist die Art und Weise wie man Falschmeldungen korrigiert und wie man alte Berichte die sich zwischenzeitlich als falsch oder überholt herausgestellt haben archiviert und entsprechend kennzeichnet. Man kann nicht einfach eine falsche Meldung vom 12.08.2015 unkommentiert im Internet stehen lassen und darauf hoffen, dass der Leser schon irgendwie die korrigierte Meldung vom 23.09. finden und lesen wird.

  • Dr. Thomas Hartung
    Februar 8, 2016

    Ich hatte die Phänomene bereits am 10.11.14 seziert und mit vielen Beispielen illustriert. Für Interessenten gern nochmal: http://www.dr-thomas-hartung.de/?p=2463

  • Andreas Säger
    Februar 8, 2016

    Na ja. Das mit den "Fehlern" ist einfach nur hahnebüchen wenn gerade eine alle Medien übergreifende Kampangne gefahren wird. Auch da passieren immer wieder solche "Fehler". Charakteristisch für diese Fehler ist, dass die "Fehltritte" immer nur auf eine Seite abrutschen und nie auf die andere. Für mich war wirklich die Maidan-Berichterstattung ausschlaggebend als die Worte "friedliebend Demonstranten" aus allen Lautsprechern tönten aber der Bildschnitt einfach nicht dazu passen wollte. Wie unprofessionell, wenn man zu diesen Worten um ihr Leben rennende Polizisten sehen muss. Nach dem Abschuss von MH-17 wurde doch tatsächlich flächendeckend suggeriert, dass Putin höchstpersönlich den Abschussbefehl gegeben haben muss. Der Abschuss war dann kein militärischer Unfall wie bei Iran-Air-Flug 655 (s. Wikipedia), sehr wohl aber einige "unentschuldbare" (aber doch längst entschuldigte) Wochen später eingeröumte Auswüchse in der Berichterstattung. Das war alles so unendlich Plump und böswillig, dass es mit Fehlern eigentlich gar nicht zu erklären ist. Der Boulevard sammelt Presseratsrügen wie Ehrenabzeichen. Solche Rügen sind vollkommen sanktionsfrei und folgenlos.
    Oppositionelle Medien, die ihrer Informationspflicht nachkommen stehen dagegen sofort im Fadenkreuz der allerhöchsten Organe (Netzpolitik.org vs. Bundesanwalt).
    Der Boulevard hat eh eine viel größere politische Meinungsmacht als die Medien, denen sich die feinen Journalisten zugehörig fühlen. Hausaufgabe für den seriösen Journalisten: Wenn Sie das nächste mal mit Fieber daheim bleiben müssen, schauen Sie sich doch mal in halb sediertem Zustand die quotenstärksten Nachmittagsprogramme im TV an. Bemühen Sie ihren analytischen Restverstand, um die Message zu erfassen (es ist wirklich nur eine) und was mit Millionen von Menschen geschieht, die sich das über Jahre hinweg mehrmals pro Woche einträufeln. Sie werden sich fortan über irrationale Ansichten und angstgesteuerte Kampagnen nicht mehr wundern müssen.

  • Andreas Säger
    Februar 8, 2016

    @Dr. Hartung: Vielen Dank für die Zusammenfassung. Genau das meine ich. "Fehler" ist das völlig falsche Wort. Was man hinterher einräumt sind die handwerkliche Fehler, aber das Kreiseln mit dem Spin ist genau so beabsichtigt und keinesfalls irgendwelchen Fehlern geschuldet.

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