Was bleibt? Wie verändert Social-Media in Notzeiten wie Hochwasser die Kommunikation? Was sollte sich ändern? Im dritten Teil unserer Interview-Reihe haben wir Andreas Szabo, Redaktionsleiter bei Radio Dresden, zu seinen Erfahrungen während des Hochwassers befragt.
Radio Dresden war während des Hochwassers redaktionell massiv in den sozialen Netzwerken präsent. Aber auch vorher schon ist der Lokalsender mehrfach positiv für seine umfangreichen Redaktions-Aktivitäten in Social-Media-Angeboten aufgefallen.
Bei einem entsprechenden Branchenreport bekam die Lokal-Station dafür jüngst sehr viel Lob: Die Seite erziele "für ihre Größe überdurchschnittlich viele 'Gefällt mir', Kommentare und Shares", war da über den erstplatzierten Radio Dresden zu lesen (vgl. futurebiz.de vom 19.6.2013: "Deutsche Radiosender auf Facebook").
Im Interview mit Flurfunk Dresden erzählt Andreas Szabo, wie die sozialen Netzwerke seine tägliche Arbeit beeinflusst und verändert haben - aber auch, was er aus heutiger Sicht anders machen würde.
Flurfunk Dresden: Du hast als Reporter auf die Flut für Radio Dresden online und onair begleitet. Aus der Sicht des Journalisten: Wie hat sich die Arbeit in so einer Extremzeit verändert?
Andreas Szabo: Die Arbeit ist definitiv schneller und komplexer geworden. Die Flut an Informationen und Ereignissen, oft zeitgleich an verschiedenen Orten, sind eine absolute Herausforderung. Dazu waren die offiziellen Stellen meist auf Zack, haben im Stundenrhythmus neue Presseinformationen, Warnmeldungen und ähnliches herausgegeben. Dazu kommt eine Vielzahl an Hilfsanfragen und Angeboten, Gerüchte, Falschmeldungen, die alle überprüft und gegengecheckt werden müssen. Die Arbeit ist in solchen Moment extrem intensiv, manchmal auch aufreibend. Aber ein tolles Team, unglaubliches Feedback und die grenzenlose Hilfsbereitschaft zeigen, wie wichtig, wie relevant und wie nah dran Radio sein kann.
Flurfunk Dresden: In meiner Wahrnehmung habt ihr in Dresden als lokales Medien Twitter und Facebook mit am intensivsten bedient. Lohnt der Aufwand? Was sind die Effekte?
Andreas: Zunächst kurz zu Facebook: Wir konnten bereits in den ersten Stunden beobachten, was für eine Posting-Flut sich dort entwickelte. Für uns war das der Moment kurz innezuhalten und Facebook nicht als Nachrichten-Ticker zu nutzen. Der Kompromiss war für uns eine einmal täglich aktualisierte Galerie mit den Bildern des Tages, verbunden mit einer Verlinkung auf unseren Live-Ticker auf radiodresden.de. Damit erzielten wir sehr hohe Reichweiten, ein hohes Engagement, haben aber gleichzeitig die Leute nicht zugespamt. Unser Fanwachstum blieb dabei auf normalen Niveau, die Interaktion war aber sehr hoch. Anders bei Twitter: die Zahl unserer Follower verdoppelte sich nahezu in den Flutwochen, ebenso stieg die Interaktion rasant an, viele Hinweise, Tipps erreichten uns auch dort, ebenso wie bei Facebook.
Hier zeigte sich, wie wichtig Online ist: In den Stunden, als sich die Lage zugespitzt hat, waren offizielle Seiten von Stadt und Landeshochwasserzentrum zeitweise nicht oder nur schwer zu erreichen. Wir haben unseren Ticker rund um die Uhr mit den wichtigsten Fakten gepflegt, parallel getwittert und dabei auch Eindrücke unserer Reporter vor Ort mit eingebunden. Unsere Nutzerzahlen sind im Web explodiert und wurden bundesweit auch von anderen Nachrichtenportalen wahrgenommen und zitiert.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ja, der Aufwand lohnt. Online ist mit Sicherheit nicht mehr nur die Verlängerung für Programminhalte oder zum Abdrucken alter Inhalte.
Flurfunk Dresden: Gerit Thomas sagte im Flurfunk-Interview, Angebote wie Hochwasser Dresden oder Elbpegelstand hätten den "Job der Stadtverwaltung und des Katastrophenstabs" übernommen. Teilst Du diese Einschätzung?
Andreas: Zunächst einmal mein persönlicher Eindruck: Die Stadt hat bei der Bewältigung der Flut einen guten Job gemacht, auch wenn nicht alles reibungslos funktioniert hat und selbst von der Stadt oder dem Land Falschmeldungen produziert wurden. Die Pressestellen waren für uns jederzeit ansprechbar, informierten rund um die Uhr.
Was die Koordinierung von privater Hilfe angeht und die Präsenz in den sozialen Medien, stimme ich 100% zu. Hier klaffte eine gewaltige Lücke, hier müssen die Katastrophenpläne angepasst werden, hier müssen Experten in dem Bereich auch von den Stäben mit eingebunden werden. Wir selbst haben bei vielen Hilfsangeboten und Anfragen dann Kontakte zu den entsprechenden privaten Initiativen hergestellt, da offenbar bei den Behörden kaum Interesse war. Das Problem für den Katastrophenstab: die unglaubliche Dynamik und die schlechte Planbarkeit. Aber zumindest die Vernetzung, das Aufgreifen und Vermitteln von Hilfsangeboten und Gesuchen sollten auch von Seite der Stadt aktiv begleitet werden.
Flurfunk Dresden: Wie hast du die Qualität der Nachrichten wahrgenommen, die von Angeboten wie Hochwasser Dresden, Elbpegelstand oder Fluthilfe Dresden verbreitet wurden - gab es da Unterschiede zwischen den einzelnen Angeboten?
Andreas: Für uns galt und gilt die Devise, keine Informationen - auch aus den sozialen Netzwerken - ungeprüft zu übernehmen. Oft reichen zwei Telefonate, um Informationen zu verifizieren oder falsifizieren.
Häufig konnten wir aber aufgrund der detaillierten Beschreibungen in den sozialen Netzen unsere Reporter zu aktuellen Brennpunkten schicken. In meinen Augen haben aber die genannten Portale wirklich Außergewöhnliches geleistet und vielen Menschen unmittelbar geholfen. Insbesondere mit dem Fluthilfezentrum haben wir deshalb eng zusammengearbeitet, um auch Hilfegesuche und Angebote schnell zu vermitteln.
Flurfunk Dresden: Daniel Braune sagte im Interview, man hätte sich bemüht, alle Nachrichten zu verifizieren - was unterscheidet solche Angebote dann noch von denen herkömmlichen Medien?
Andreas: Ich glaube diese Angebote sind insbesondere zur schnellen Vernetzung und Koordination ideal und ergänzen die Angebote der klassischen Medien. Andererseits war der Informationsstrom zeitweise unüberblickbar. In solchen Momenten zeigen "herkömmliche" Medien - wenn sie gut sind: Was ist relevant, was ist wahr, wo läuft etwas schief, was ist in diesem Moment wirklich wichtig.
Flurfunk Dresden: Für das (hoffentlich nicht so bald kommende) nächste Hochwasser: Was werdet ihr anders machen?
Andreas: Das Thema Geodaten beschäftigt mich sehr: für mich war die Google-Map mit Überflutungsgebieten, Hilfsangeboten und Gesuchen eine der genialsten Entwicklungen. Hier sehe ich auch bei uns erhebliches Potential, das genutzt werden sollte. Dabei wünsche ich mir auch von den Stäben und der Verwaltung entsprechend mehr Offenheit (Stichwort Open Goverment): Die Daten zu Überflutungsgebieten, Sandsackfüllstationen, Hilfszentren, Notunterkünften, Evakuierungsgebiete sollten in Echtzeit und weiterverarbeitbar zur Verfügung gestellt werden.
Flurfunk Dresden: Und was empfiehlst Du öffentlichen Institutionen wie der Stadtverwaltung oder der Staatsregierung - sollen die eigene Social-Media-Angebote aufsetzen? Oder wie mit solchem Engagement umgehen?
Andreas: Eine Steuerung ist glaube ich unmöglich, aber zumindest eine Vernetzung ist dringend geboten. Warum Twitter und Facebook von den Behörden in Dresden bis heute eher stiefmüterlich behandelt werden, ist mir ein Rätsel. Einige Kommunen (Heidenau zum Beispiel) machen es vor, dass man auch dort mit einfachen Mitteln viel erreichen kann. Also: Social Media-Stellen schaffen, Profile aufsetzen, Experten dazu holen und Einsatzpläne anpassen! UND: Das bürgerliche Engagement - auch im Netz - ernst nehmen und unterstützen! Das würde ich mir wünschen.
Flurfunk Dresden: Vielen Dank für das Interview.
Diskutieren Sie mit uns zu den Fragen: Was bleibt? Wie verändern soziale Medien die gesellschaftliche Kommunikation – nicht nur in Katastrophenzeiten? Was können öffentliche Verwaltung, was können die Bürger daraus lernen? Wir freuen uns über Kommentare hier oder unter unseren vorherigen Beiträgen zum Thema:
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