Sieben Thesen über die Qualität der Medien und ihre Beziehung zur Bevölkerung

Am 10.5.2016 fand die 5. Bürgerversammlung in Dresden unter dem Motto "Wie geht es weiter in Dresden" statt. Titel der Veranstaltung: "Medien - zwischen Wahrheit und Lüge?" (vgl. Flurfunk vom 6.5.2016).

Einer der Referenten war Prof. Lutz M. Hagen vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden. Sein Kurzvortrag bestand aus "sieben Thesen über die Qualität der Medien und ihre Beziehung zur Bevölkerung".

Seine mündlich vorgetragenen Thesen dokumentieren wir hier:


Zur Qualität des Journalismus

1) Journalismus war noch nie fehlerfrei und kann es auch nicht sein

Schon in den ersten Untersuchungen der sog. "Accuracy-Forschung", die in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts stammen, zeigt sich das fast die Hälfte der dort untersuchten Nachrichten zumindest kleinere Fehler enthielten. Journalismus muss unter hohem Zeitdruck und oft schwieriger Quellenlage Aussagen treffen. Da bleiben Fehler nicht aus.

2) Die Qualität des Journalismus in Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten messbar abgenommen

Kommunikationswissenschaftliche Befunde zeigen seit den Achtziger Jahren Boulevardisierungstendenzen im Fernsehen und in den Printmedien (mehr Drama und Oberfläche, weniger Analyse). Sei den Neunziger Jahren hat zudem das Internet dazu geführt, dass das Qualitätskriterium "Aktualität" immer wichtiger geworden ist, das im Zielkonfikt mit anderen Kriterien steht (etwa: Richtigkeit, Relevanz, Vielfalt, Ausgewogenheit…). In den letzten Jahren haben sich zudem die Voraussetzungen für den Journalismus durch sinkende Einnahmen verschlechtert. Kommunikationswissenschaftliche Befunde belegen daher eine (bislang noch moderate) Abnahme der Qualität.

3) Die Qualität des deutschen Mediensystems rangiert international immer noch an der Spitze

Die Befunde der Kommunikationswissenschaft zeigen, dass die journalistische Qualität in anderen Ländern sich nicht besser entwickelt hat. Deutschland verfügt noch über viele Qualitätsmedien und eine relativ vielfältige Pressestruktur. In den weitaus meisten Ländern der Welt steht es schlechter, oft sehr viel schlechter um die Pressefreiheit als in Deutschland.

4) Die Ressourcenkrise der Medien bedroht ihre Qualität schon in naher Zukunft massiv

Die Erlösmodelle aus der Print-Welt funktionieren im Internet nicht mehr. Leser/Hörer/Seher bezahlen bislang kaum etwas für Inhalte. Werbeerlöse fallen deutlich geringer aus als bei gedruckten Medien. In der Folge wurden und werden Stellen von Journalisten abgebaut. Diese Entwicklung läuft seit einigen Jahren und wird sich noch verschärfen. Die Folgen für die Pressequalität und -vielfalt werden erst noch deutlich verspürt werden.

Zur Beziehung zwischen Medien und Bevölkerung

5) Das Vertrauen der Bevölkerung in die Medien ist schon seit langem gestört

Nur eine Minderheit der Bevölkerung gibt in Deutschland an, dass sie den Medien vertraut. Dies ist schon seit einigen Jahren so und zeigt sich auch in anderen Ländern mit freien Medien. Die jüngste Diskussion um die sog. "Lügenpresse" hat diesen Trend seit dem vergangenen Jahr nur etwas verschärft. Die starke Zunahme der Macht der Medien in der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts hat Misstrauen und Reaktanz ausgelöst.

6) Deutsche Journalisten haben Nachholbedarf, um die Bevölkerung zu repräsentieren

Viele kommunikationswissenschaftliche Studien zeigen, dass Journalisten, was ihre Herkunft und ihre Ansichten angeht, in den meisten Ländern nicht dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen und z.B. in politischer Hinsicht mehrheitlich eher links stehen. Auch sind die Vorstellungen von Journalisten von ihrem Publikum oft nur vage. Für Deutschland ist überdies ein journalistisches Selbstverständnis typisch, das erzieherische Elemente trägt. Diese Besonderheit im Vergleich zum angelsächsischen Journalismus ist allerdings mit der Kommerzialisierung in den vergangenen Jahren schwächer geworden. Wie die Forschung außerdem zeigt, transportieren Medien ganz überwiegend Meinungen der politischen Eliten, wenn man darunter die Regierung und die in den Parlamenten vertretenen Parteien versteht (sog. Indexing). Auch lässt sich nachweisen, dass die Pressearbeit mächtiger Akteure Medieninhalte stark prägt. Ein Sonderfall stellt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland dar, der ausgesprochen stark durch Parteipolitik geprägt wird. In den neuen Bundesländern kommt noch hinzu, dass außer den Regionalzeitungen (die nach der Wende sämtlich von westlichen Großverlagen übernommen wurden) kaum spezielle informationsjournalistische Angebote existieren.

7) Das Internet entfesselt das Publikum und bringt damit Segen wie Fluch

Im Internet ist eine zweite mediale Öffentlichkeit entstanden. Sie ermöglicht es, Fakten aus den traditionellen Massenmedien kritisch zu hinterfragen und an anderen Quellen zu prüfen. Dabei wächst die Gefahr in einer "Filter Blase" nur noch Bestätigung zur erfahren, aber wenig Information zu erhalten, die die eigenen Ansichten kritisch herausfordert. Auch trägt die Anonymität in den Netzen dazu bei, dass Anstandsregeln eher missachtet werden, die für rationale und fruchtbare Diskussionen gelten. Kommunikationswissenschaftlich gut belegt ist der sog. "feindselige Medien-Effekt" ("Hostile Media Phenomenon"). Demnach nehmen Anhänger von ausgeprägten Ansichten die Berichterstattung als unfair und entgegengesetzt wahr – und zwar auch dann, wenn ausgewogen berichtet wird. Dass die Medien bei der Ausübung ihrer öffentlichen Aufgabe, die auch Kritik und Kontrolle umfasst, vor allem in der digitalen Sphäre nun selbst verstärkt kritisiert und kontrolliert werden, sollte man nicht nur als Problem, sondern vor allem auch als Chance begreifen - ein Chance auf mehr Sorgfalt, mehr Rechenschaft und bessere Publikumsorientierung in Zusammenarbeit mit dem Publikum.

 


Wer sich für den Ablauf der Veranstaltung interessiert, findet im Blog von stefanolix eine schriftliche Dokumentation des Abends. Bei Soundcloud ist außerdem ein Audio-Mitschnitt zu finden, aufgenommen und zur Verfügung gestellt von Rolf Backe.

Hier noch einige Presseberichte zur Versammlung:

SZ-Online vom 11.5.2016: "'Es kommt eh alles ans Licht'"

DNN.de vom 11.5.2016: "Intensive Debatte mit OBM in der Dresdner Kreuzkirche"

Menschen-in-Dresden.de vom 11.5.2016: "Bürgerversammlung in der Kreuzkirche: Die Presse lügt doch nicht"

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