Der einzige Zeuge im Programm: Wie MDR Aktuell einmal die Distanz verlor

Am vergangenen Sonntag (28.7.2019) brannte in Sachsen-Anhalt in der Nacht eine Gartenlaube - in der schlief der Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Altmark-West, Sebastian Koch, mit seiner Freundin. Beide können das Feuer kurz nach Ausbruch löschen, wie sie wenig später der herbeigerufenen Polizei berichten.

Die Polizei bestätigt kurz darauf gegenüber Medien, dass sie Ermittlungen wegen versuchten Mordes gegen den Politiker aufgenommen hat. Eine hochgradig brisante Meldung, die umgehend zu bundesweiter Berichterstattung führt.

Völlig zu Recht: Ein Mordversuch gegen einen Politiker – ganz gleich, von welcher Partei, egal, was er oder sie vorher gesagt oder getan hat - das ist eine massive Grenzüberschreitung in der politischen Auseinandersetzung, die scharf zu verurteilen und unbedingt zu verfolgen ist.

Wieviel Zweifel sind angebracht?

Nur: Ab wann ist ein Brand an einer Laube eigentlich ein Mordanschlag? Und ab wann ist es journalistisch in Ordnung, die Täter-Opfer-Einschätzung und die Schilderung des Tathergangs, wie sie von der Polizei auf Basis der ersten Zeugenaussagen als Ausgangspunkt für die Ermittlungen angenommen werden, auch als Wirklichkeit wiederzugeben?

Oder andersherum gefragt: Ab wann machen sich Journalistinnen und Journalisten zu Richterinnen/Richtern, wenn sie so einen Ermittlungsansatz transportieren? Was ist in so einem Fall angemessen?

Die Redaktion von MDR Aktuell hat sich am darauffolgenden Montag für folgenden Schritt entschieden:

Sie spricht im laufenden Radio-Programm mit dem vom "Anschlag" betroffenen Sebastian Koch. Er kommt ausführlich zu Wort und darf seine Interpretation des Vorgangs im Programm zum Besten geben.

"Heimtücke" und "Benzin an der Fassade"

Zitate aus dem Interview mit Sebastian Koch:

"Genau das ist mir nämlich auch so wichtig, weil viele schreiben immer von 'Feuer-Anschlag' und 'Tötungsdelikt' und so. Da ist ganz klar die Heimtücke gegeben, weil wir hatten Licht an dort im Bungalow, dort hat wohl einer reingeguckt laut Aussage meiner Freundin und hat eben sehen müssen, dass dort Personen drin schlafen."

"Ganz klar Heimtücke". Oha. In der Folge schildert Koch den Vorgang noch weiter im Detail – aus seiner Sicht. Und sagt zum Beispiel:

"Ich weiß jetzt nicht, ob die da auch ermittelt haben, dass da Benzin an der Fassade war oder so, das konnte ich jetzt noch nicht erfragen bei der Kripo..."

Screenshot: MDR ab 4

Benzin an der Fassade. Vielleicht. Man betrachte dazu das Bild aus dem MDR ab 4-Beitrags (s. Screenshot). Auch in dem MDR-TV-Beitrag kommt Koch zu Wort – allerdings entsteht durch die Wortwahl der Off-Sprecherin und das ganze Setting eine wesentlich kritischere Sicht auf den Vorgang.

Das ganze Radio-Interview mit Koch ist nach wie vor bei MDR-Aktuell nachzuhören: MDR.de: "Mordanschlag auf AfD-Politiker?"

Zufallstat? Oder aber AfD als Opfer?

Koch bringt in dem Radio-O-Ton sehr glaubwürdig (das meinen wir wirklich unironisch) zum Ausdruck, dass es ihm wirklich sehr lieb wäre, "wenn das eine Zufallstat war." Um ohne Zögern nachzuschieben: "Aber das glaube ich eher weniger."

Zitat Koch:

"Ich denke mal, dass war auch gleichzeitig eine Tat gegen die AfD, weil wir da ja auch gleichzeitig das Fest gefeiert haben..."

Distanz und Vorsicht wären wohl besser

Jetzt mal: Ist es wirklich angemessen, einen Politiker (gleich welcher Partei!) unmittelbar nach einem Vorgang wie diesem Brand im öffentlich-rechtlichen Radio so eine Interpretations-Möglichkeit einzuräumen, die bis zu diesem Zeitpunkt ja nur auf Basis seiner alleinigen Aussage beruht?

Keine Frage: Seine Schilderung ist ein realistisches Szenario – es ist sehr gut möglich und keineswegs ausgeschlossen, dass Koch die Wahrheit spricht. Nur: Ist nicht – zumindest theoretisch – auch möglich, dass der Vorgang komplett anders gelaufen ist?

Und: Koch selbst schildert, dass er in der konkreten Situation nur reagiert und erst später realisiert habe, was da hätte passieren können. Mit anderen Worten: Er stand bei der Beobachtung des Vorgangs unter Schock. Möglicherweise steht er auch während des Interviews noch unter Schock.

Einordnung gelingt nicht

Wenigstens ist die den Beitrag einleitende Frage des Moderators, die auch gleichzeitig die Überschrift des Online-Beitrages ist, etwas "distanziert". Da fragt der Moderator: "Wurde in Sachsen-Anhalt versucht, einen AfD-Politiker zu ermorden?"

Und auch der im Beitrag angeschlossene O-Ton des Polizeisprechers, dass wegen versuchten Mordes ermittelt werde, soll wohl die Perspektiven der Hörerinnen und Hörer (zumindest theoretisch) in alle Richtungen erweitern. Das aber gelingt nicht. Denn im Radio-O-Ton bestätigt der Polizei-Sprecher lediglich die Ermittlungen wegen versuchten Mordes.

Anders ist es auf Volksstimme.de nachzulesen (Zitat unverändert übernommen):

"Die alarmierte Polizei setzte einen Fährtenhund ein, der aber keine Spur aufnehmen konnte. Sprecher der Polizeiinspektion Stendal, Joachim Albrecht: 'Zudem haben wir unsere Kollegen in Niedersachsen informiert. Sie unterstützten uns mit Fahrzeugkontrollen.'

Er sagte auch: 'Eine politische Motivation ist nicht ausgeschlossen.' Man ermittle aber dennoch in alle Richtungen. Wegen der Umstände der Tat habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen von Brandstiftung auf versuchten Mord hochklassifiziert."

(Auf Volksstimme.de vom 28.7.2019 nachzulesen: "Mordversuch nach AfD-Fest in der Altmark")

Was bleibt also bei den Hörerinnen und Hörern vom Interview mit Koch hängen? "Heimtücke", "5-Liter-Kanister" und "Benzin an der Hauswand".

Das ist journalistisch mindestens als unglücklich zu bezeichnen.

Verbrechen in der politischen Debatte

Haben wir Grund, an den Aussage von Koch zu zweifeln? Keineswegs. Naja. Also... Mhm.

Es häufen sich in der jüngeren Geschichte ja doch ein bisschen die Beispiele, bei denen Verbrechen "politisch" instrumentalisiert wurden – gerade diese sollten Redaktionen zur Vorsicht mahnen, sich nicht voreilig zum Richter zu machen.

Zwei Beispiele:

  • Im Januar 2015 starb in Dresden der Asylbewerber Khaled. Im Wikipedia-Eintrag Todesfall Khaled Idris Bahray ist ausführlich nachzulesen, wie Medien und Öffentlichkeit zunächst über eine politische Tat, angeblich motiviert durch Rassismus, spekulierten – bis sich sich schließlich herausstellte, dass der Mitbewohner von Bahray der Mörder war.
  • Im Januar 2019 herrschte große Aufregung in den sozialen Netzwerken, weil in Bremen angeblich ein AfD-Politiker mit einem Kantholz niedergeschlagen worden war. Kantholz... naja, die Auswertung von Videomaterial und die Bewertungen durch die Polizei sorgten später dafür, dass sogar die AfD die eigene Darstellung relativierte (vgl. Zeit.de vom 9.1.2019: "AfD relativiert Darstellung des Angriffs auf Magnitz").

Wir wollen uns hier nicht zum Richter über die Geschichte in Sachsen-Anhalt machen - wir weisen lediglich darauf hin, dass zur journalistischen Sorgfalt auch eine gewisse Distanz gehört. Die im Falle des vorliegenden Radio-Interviews aus unserer Sicht nicht mehr gegeben ist.

Der Blog Volksverpetzer, der ebenfalls über das vom einzigen Zeugen gesetzte Framing (Wikipedia zum Framing-Effekt) bei der Interpretation des Vorgangs schreibt, geht in seinem Kommentar zu dem Vorgang sehr weit, wenn er Zweifel an der Aussage von Koch streut.

Ob man sich dem anschließen mag oder nicht – er spricht in der Überschrift des Kommentars die richtige Warnung aus (vgl. "'Brandanschlag' In Salzwedel? Liebe Medien, Vorsicht mit AfD-Pressemitteilungen!").

So oder so: Die Ermittlungen der Polizei bringen hoffentlich bald Klarheit.

1 Kommentar
  • Duracell-Hase
    Juli 31, 2019

    Liebe Flurfunker - lesen Sie doch mal bei MDR.de / Sachs.-Anhalt die Kommentare zu beiden diesbezuegl. Artikeln - wer Schlammschlachten und ideolog. Grabenkaempfe mag, wird hier (wie so oft) bestens bedient...

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