Prof. Wolfgang Donsbach: Umfragen sind nicht gleich Umfragen

Zur Entwicklung der Parteipräferenzen in der Dresdner Kommunalwahl

von Wolfgang Donsbach

Der Dresdner "Flurfunk" titelte am 18.05.2014: "Umfragen zur Stadtratswahl: zwei Zeitungen, eine Frage, zwei Ergebnisse". Von zwei "Umfragen" lässt sich allerdings nur sprechen, wenn man den Begriff sehr weit auslegt. Die "Sächsische Zeitung" hatte nichts weiter als einen Fragebogen an einige Tausend Emailadressen versandt, über deren Repräsentativität für die Dresdner Bevölkerung man sich wohl keine großen Gedanken machte.

So berichtete Flurfunk Dresden über die unterschiedlichen Prognosen von "DNN" und "SZ" im Vorfeld der Stadtratswahl. Die "DNN"-Zahlen werden vom Institut für Kommunikationswissenschaft (IfK) erstellt, an dem Wolfgang Donsbach als Professor lehrt.

So berichtete Flurfunk Dresden über die unterschiedlichen Prognosen von "DNN" und "SZ" im Vorfeld der Stadtratswahl. Die "DNN"-Zahlen werden vom Institut für Kommunikationswissenschaft (IfK) erstellt, an dem Wolfgang Donsbach eine Professur innehhält.

Die ausgewiesenen Zahlen für Alter und Geschlecht lassen nichts Gutes ahnen. Es war sicher keine Meinungsumfrage auf wissenschaftlicher Basis. Man hoffte auf fehlende Urteilskriterien beim Leser. Dennoch waren die Ergebnisse der "Sächsischen Zeitung" unter dem Strich sogar näher am Endergebnis der Wahl. Rechtfertigt das im Nachhinein die "Methode"? Keinesfalls, es war mehr oder weniger reines Glück, dass diese nicht-repräsentative Befragung zu einem Ergebnis führte, das dem der Wahl einigermaßen entsprach.

Wir haben in unserem Artikel am 17.05. in der "DNN" bewusst vorausgeschickt, dass gerade bei Kommunalwahlen echte "Prognosen" so gut wie unmöglich sind, weil das tatsächliche Wahlergebnis stark von der Wahlbeteiligung abhängt und die Parteipräferenz der Bürger bei Stadtparlamenten noch weniger gefestigt ist. Dennoch: Der Abstand zwischen unseren Zahlen für die CDU und ihrem tatsächlichen Ergebnis war groß. Unsere Umfrage sah sie bei über 40 Prozent, erhalten hat sie knapp 28. Die Linke hatten wir dagegen um 5 Prozentpunkte unterschätzt, die AfD um 3. Bei der AfD hatten wir aber bereits im Begleittext vermutet, dass sie von mehr Bürgern gewählt wird als im Interview zugegeben. Bei allen anderen Parteien lag unsere Momentaufnahme in den sechs bis drei Wochen vor der Wahl ziemlich genau und in jedem Fall noch innerhalb der statischen Fehlertoleranz.

Warum aber die Abweichungen bei CDU und – in geringerem Maße – bei den Linken? Erstens: In unserer Befragung hatten 68 Prozent angekündigt "sicher wählen zu gehen". Auf der Parteipräferenz dieser Befragten basierten die Zahlen. Gewählt haben aber nur 53 Prozent, also 15 Prozentpunkte weniger. Diejenigen, die zu Hause bleiben, verteilen sich in der Regel nicht proportional auf die Parteien. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mehr potenzielle CDU-Wähler – aus welchen Gründen auch immer – zu Hause geblieben sind. Vielleicht waren sie zu Siegesgewiss, vielleicht war ausgerechnet ihnen das Wetter zu gut... Das im Nachhinein herauszufinden, ist nicht möglich.

Zweitens hat der Wahlkampf bis zum Wahlsonntag sehr deutliche Spuren hinterlassen. Die Linke scheint mit ihrer simplen, aber eindrucksvollen Kampagne "Für bezahlbares Wohnen" im Verlauf des Wahlkampfs zunehmend Stimmen gewonnen zu haben. Umgekehrt hat die CDU Stimmen verloren, je näher der Wahltag rückte. Durch die Tatsache, dass wir über einen Zeitraum von vier Wochen unsere Interviews durchgeführt haben, können wir die Antworten zu einzelnen Zeitpunkten vor der Wahl vergleichen. Die Fallzahlen werden dort zwar klein, zeigen aber einen linearen und eindeutigen Trend: stetige Verluste der CDU und Gewinne der Linken vor allem gegen Ende des Wahlkampfs. Nimmt man alleine die letzte Woche unserer Befragung, dann liegt die Zahl für die CDU ganz in der Nähe des tatsächlichen Wahlergebnisses (Tabelle).

Umfrage_Wahlkampf_Donsbach

Drittens: Wir haben zwar keine Vergleichszahlen für Dresden, aber die CDU hat bei der Europawahl bundesweit mit Abstand die meisten Wähler an die AfD verloren, nämlich 510.000 (Nachwahlbefragung von Infratest Dimap). Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der größte Teil der 7 Prozent Stimmen, die die AfD in Dresden bekommen hat, ebenfalls von der CDU stammt. Die AfD-Wähler hatten sich aber, wie wir offensichtlich zu Recht vermuteten, im Interview nicht zu dieser in die rechte Ecke gestellten Partei bekannt.

Der Wahlkampf hat demnach in Dresden einen interessanten Verlauf genommen und das Ergebnis am Ende deutlich beeinflusst. Was für eine Demokratie förderlich ist, ist für die Demoskopie ein methodisches Problem: Die Dinge entwickeln sich unter dem Eindruck von Wahlkampf-Kommunikation. Aus diesem Grund halten wir Vorhersagen nach wie vor in der Regel für Unfug. Dass auch Momentaufnahmen – trotz intensiver Hinweise – als solche wahrgenommen werden, ist wohl kaum zu vermeiden. Das macht die Wahlumfragen aber ganz und gar nicht wertlos. Auf seriöser Grundlage durchgeführt, können sie zum Beispiel zeigen, was den Menschen in der Politik wichtig ist – und wie und warum sich die Parteipräferenzen verändern.

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