Prognosen zur Landtagswahl Sachsen: 37, 34 oder 32 Prozent – wie viel hätten sie denn gern?

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In den vergangenen Tagen sind einige Prognosen zur Landtagswahl in Sachsen erschienen, die alle unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht haben. Während eine Civey- und eine Forsa-Umfrage die AfD deutlich vor der CDU sehen, meldet Wahlkreisprognose.de die CDU vorn im Rennen. Und wem und was soll man jetzt glauben?

Angeblich 37 Prozent für die AfD

Den Aufschlag zum Jahresauftakt machte das Meinungsforschungsinstitut Civey. Die in Kooperation mit der Sächsischen Zeitung erhobenen Ergebnisse sorgten bundesweit für Schlagzeilen:

"Eine aktuelle Umfrage sieht die AfD in Sachsen mit 37 Prozent als stärkste Kraft - die derzeit mitregierende SPD rutscht dagegen unter die Fünf-Prozent-Hürde",

schrieb die Zeitung unter dem Titel: "Wahl-Umfrage sieht AfD in Sachsen deutlich vorn - So reagieren die übrigen Parteien" (Sächsische.de vom 2.1.2024).

Allerdings steht das Meinungsforschungsinstitut Civey schon geraume Zeit in der Kritik, was die Erhebungsmethode betrifft.

Denn Civey zieht seine Stichproben im Wesentlichen wohl aus Mediennutzenden der Medien, mit denen das Meinungsforschungsinstitut kooperiert. Das ist ein Win-Win-Geschäft: Civey bekommt Daten und Mitglieder im Befragungspanel, das Medium – in dem Fall die Sächsische Zeitung – kommt vermutlich sehr günstig an Daten.

Nur Webseiten-Besucher werden befragt

Konkret werden die Besucher der Webseite (also nur Online-Nutzende) aufgefordert, ihre Parteipräferenz abzugeben – das Institut gewichtet die Ergebnisse dann entsprechend dem Bevölkerungsdurchschnitt.

"Diese Art der Befragung genügt nicht den hohen Standards, die bei einer repräsentativen Befragung zu Wahlprognosen angewendet werden sollten", sagt Prof. Lutz Hagen vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden. "Das sind ganz schiefe Stichproben und nicht bevölkerungsrepräsentative Gruppen, die da befragt werden." Er betont: "Es gibt eindrucksvolle Beispiele aus der Geschichte, dass man mit nachträglicher Gewichtung Fehleinschätzungen durch schiefe Stichproben nicht heilen kann."

Denn für eine repräsentative Aussage benötigt man eine Stichprobe von Menschen, die weitestgehend dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechen. Nehmen an einer Befragung also überwiegend junge Menschen und nur wenige ältere Menschen teil, gewichtet man die Aussagen der unterrepräsentierten Gruppe so, dass die Antworten dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechen. Bei geringen Abweichungen in der Stichprobe hilft die Gewichtung; bei großen Abweichungen aber verzerrt das Ergebnis mehr und mehr.

Der Vorwurf an Civey bei der vorliegenden Umfrage ist, ausschließlich Politik-Interessierte Internet-/Medien-Nutzende befragt und von dort umrechnet zu haben. Aus Sicht der Kritiker funktioniert das nicht.

Ein Meinungsforscher, der nicht namentlich genannt werden will, bringt folgendes Beispiel:

"Nehmen sie die Mitglieder eines Yachtclubs und befragen sie die zu einer gesellschaftlichen Entwicklung. Im zweiten Schritt gewichten sie: Ist ein Yacht-Besitzer ohne Schulabschluss dabei? Wie viele jüngere und weibliche Yacht-Besitzer gibt es? Wie viele mit geringem Einkommen? Daran sieht man: Man kann von so einer geschlossenen Gruppe nicht auf die gesamte Bevölkerung schließen."

Erst Ende September 2023 erreichte der Wettbewerber Forsa vor Gericht, dass Civey bestimmte Aussagen nicht mehr verbreiten darf (vgl. FAZ vom 23.9.2023: "Landgericht Hamburg zweifelt an der Civey-Methode"). Und auch im Wikipedia-Eintrag finden sich einige Kritikpunkte an der Civey-Methodik.

Wahlkreisprognose.de: CDU vor AfD

Es gibt noch andere "Prognosen", schließlich ist das Interesse an dem Thema gerade sehr groß. Das Berliner Start-up Wahlkreisprognose.de veröffentlichte Anfang der Woche (10.1.2024), dass die AfD im Freistaat Sachsen nur auf Platz 2 liegen würde: "Sachsen: CDU verdrängt AfD auf zwei, BSW gewinnt dazu", war da zu lesen (vgl. wahlkreisprognose.de vom 10.1.2024).

Die Jung-Unternehmer von Wahlkreisprognose.de gehen anders vor als die klassischen Meinungsforschungsinstitute – aber keiner weiß so recht, wie eigentlich genau.

Denn in allen Wahlkreisen repräsentative Befragungen durchzuführen, wäre schlicht zu teuer. Hinter dem Angebot liege vielmehr ein "Algorithmus", wie die Gründer der ZEIT bereits 2021 verraten haben (vgl. ZEIT.de vom 12.9.2021: "Die Grenzen des Berechenbaren").

Marktforscher stöhnen nur, wenn sie von der Unternehmung hören. "Auf Wahlkreise herunter gebrochen ist seriös keine Repräsentativität zu ermitteln", sagt einer. "Da kommen einfach zu viele Dinge zusammen, die man nicht berechnen und vorhersagen kann."

Wahlkreisprognose finanziert sich darüber, dass bspw. Kandidaten Geld für die Datenanalysen zahlen, um dann damit im Wahlkampf zu arbeiten.

Forsa: AfD vor CDU, BSW nicht im Landtag

Fehlt noch die dritte im Bunde: Das Meinungsforschungs-Institut Forsa hat im Auftrag von RTL/ntv ebenfalls eine Prognose ermittelt.

Dort kommt die AfD in Sachsen auf 34 Prozent, die CDU auf 30, gefolgt von Grüne (8 %), SPD (7 %) und Linke (6%).

"Alle anderen Parteien würden nach aktuellem Stand an der Fünfprozenthürde scheitern, darunter auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das auf 4 Prozent kommt",

schreibt ntv auf seiner Seite (vgl. n-tv.de vom 11.1.2024: "AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vorn").

Im Gegensatz zu den anderen beiden Anbietern genießt Forsa einiges Ansehen, die von uns befragten Forscher äußern hier keine Zweifel an der Methodik und dem Vorgehen.

Und wem soll man jetzt glauben?

In jedem Fall gilt es, Umfragen nur als das zu sehen, was sie sind: Momentaufnahmen. Denn, das macht Politik ja auch so spannend: Bis zu den Wahl-Terminen kann noch einiges passieren.

Gerade Medien sind da aufgerufen, die Verbreitung von Zahlen mit Verantwortung zu betreiben:

"Wir wissen auch aus der Kommunikationswissenschaft, dass es Ansteckungs- und Schweigespiralen-Effekte gibt. Das kann Folgen haben, wenn ich beispielsweise prognostiziere, dass eine Partei, die nicht die Mehrheit hat, die Mehrheit bekommen würde. Und insofern würde ich mir tatsächlich wünschen, dass auch die Kooperationspartner von Civey etwas mehr Vorsicht walten lassen würden bei der Durchführung, aber vor allem auch bei der Interpretation", sagt Prof. Hagen.


Transparenzhinweis: Ich arbeite auch als Politik-Berater, u.a. erstelle ich ein Magazin für die CDU-Fraktion des Sächsischen Landtags.  

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